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nds 1-2015
Lehrerausbildung inKöln
Sprachunterricht für
Flüchtlingskinder
An der Universität zu Köln erteilen seit dem
Sommersemester 2014 Lehramtsstudierende
im Rahmen des obligatorischen Berufsfeld-
praktikums Deutschunterricht in einer Kölner
Notunterkunft für Flüchtlinge.
Die etwa 150 Kinder und Jugendlichen zwi-
schen sechs und 17 Jahren, die in der Notun-
terkunft leben, haben noch keinen Schulplatz.
Durch den Förderunterricht erhalten sie jedoch
erste sprachliche Kenntnisse, die sie auf das
(schulische) Leben inDeutschland vorbereiten.
Die Studierendenwerdendurchdas Zentrum für
LehrerInnenbildung (ZfL) in den Themenfeldern
Flüchtlingsarbeit, Rassismuskritik und Spracher-
werb vorbereitet. Anschließend führen sie im
Tandem zwei Stunden Deutschunterricht pro
Woche in der Notunterkunft durch.
InKooperationmitdemSchulamtder StadtKöln
wirddas Projekt organisiert und reflexivmit den
Studierenden durch das ZfL begleitet. DieNach-
frage bei den Studierenden ist groß, denn das
Projekt ermöglicht ihnen, erste Erfahrungen im
sprachsensiblen Unterricht und insbesondere
in migrationsgesellschaftlichen Kontexten zu
sammeln. Sohat das Kölner Projekt explizit eine
migrationspädagogische Bedeutung, indem es
(auch) zu einem gesellschaftspolitischen Lernef-
fekt bei den angehenden LehrerInnen beiträgt.
René Breiwe
Reflexion des Verhältnisses von Migration
und Bildung sowie das Aufdecken von gesell-
schaftlichen, institutionellen und interaktio-
nellen Strukturen, die zu Benachteiligungen
und Diskriminierungen von Kindern und Ju-
gendlichen „mit Migrationshintergrund“ oder
bestimmter sozialer Herkunft führen. Zudem
werden die Studierenden angeregt, sich mit
den eigenen (kulturellen) Deutungsmustern
auseinanderzusetzen und erlernen gleichzei-
tig pädagogische Konzepte, um Vorurteile
kritisch zu thematisieren. Zu den inhaltlichen
Schwerpunkten desModuls gehören:
◆◆
Konzepte der interkulturellen Kommuni-
kation,
◆◆
aktuelle Themen der interkulturellen Bil-
dung und einer Pädagogik der Vielfalt,
◆◆
das Spannungsverhältnis von Integration
und Assimilation,
◆◆
der Umgangmit Fremdenfeindlichkeit,
Stigmatisierung und Rassismus,
◆◆
Ethnizität und Ethnisierung,
◆◆
Mehrsprachigkeit sowie
◆◆
Konfliktlösungsstrategien.
Nachgefragt
S
ami Ceylan
ist 23 Jahre alt undwurde in Gaziantep (Türkei)
geboren. Seit seinem dritten Lebensjahr lebt er in
Deutschland. Heute arbeitet er als wissenschaft-
liche Hilfskraft am Institut für Sozialpolitik der
Universität Duisburg Essen.
nds: Sami, wie waren deine Stationen durch
Schule undHochschule inDeutschland?
Sami Ceylan:
Nach der Grundschule ging ich auf
dieRealschule, erreichtedort diemittlereReifemit
dem Qualifikationsvermerk und wechselte dann
auf das Gymnasium. Nach meinem Zivildienst
nahm ich imWintersemester 2011/2012 das Ba-
chelorlehramtsstudium (Englisch/Geschichte) an
der Uni Duisburg-Essen auf – seit dem Winter-
semester 2014/2015 befinde ich mich im Lehr-
amtsmaster.
Wie hast du das deutsche Bildungssystem in
dieser Zeit erlebt?Hast du selbst institutionelle
Diskriminierung erfahren?
Zurückblickend meine ich behaupten zu können,
vor allem von den LehrerInnen enttäuscht worden
zu sein. Ich hätte mir während meiner Schulzeit
mehr Unterstützung und Vertrauen ihrerseits
erhofft – es gab so gut wie keine motivierenden
Worte, kein positives Feedback. Stattdessen gab
es eigentlich immer nur Rückschläge. Nach der
Grundschule bekam ich eine Förder- bis Haupt-
schulempfehlung. Nach der Realschule rieten mir
meineLehrerInneneineAusbildungaufzunehmen,
denn „das Gymnasium würde mich überfordern“.
Auch nach demAbitur hieß es, dass ichmich vom
wissenschaftlichen Arbeiten fernhalten solle, das
sei nichts für mich. Dennoch bin ich diesen Weg
gegangen, aus eigener Überzeugung – auchwenn
mir keiner eine akademische Laufbahn inAussicht
gestellt hat.
Motivieren dich deine eigenen Erfahrungen,
dich selbst für Bildung in der Migrationsgesell-
schaft zu engagieren?
Ja! Ich wollte mich nie hinter den Rückschlägen,
die ich erfahren musste, verstecken. Vielmehr
habe ich recht früh damit begonnen, den Schüle-
rInnen, die weder von den LehrerInnen noch vom
Elternhaus genügend Motivation und Unterstüt-
zung bekamen, unter die Arme zu greifen. Wäh-
rend der Schulzeit gab ich den SchülerInnen aus
der türkisch-kurdischen Community Nachhilfe, in
meiner Abiturzeit leitete ich diverse AGs, heute
engagiere ich mich als Integrationslotse in mei-
ner Heimatstadt und bin als Mentor für die Uni
Duisburg-Essen tätig. Meine Bildungsbiografie
war darüber hinaus ausschlaggebend für dieWahl
meines Lehramtsstudiums. In meiner Bachelor-
arbeit beschäftigte ich mich zudem mit der Be-
rücksichtigung der interkulturellen Kompetenzen
in der Lehrerausbildung.
Universität Duisburg-Essen: Infos
zu allen Lehramtsstudiengängen
Universität zuKöln: Infos des Zen-
trums für LehrerInnenbildung
WDR: Studentenunterrichten im
Flüchtlingsheim (Lokalzeit aus
Köln vom08.01.2015)
Seit dem Wintersemester 2011/2012 ist
für alle Bachelorlehramtsoptionen das Modul
„DeutschalsZweit- undFremdsprache“ verpflich-
tend, das die angehenden LehrerInnen auf die
Arbeit inmehrsprachigenKlassenvorbereitet. Zu
denkonkreten Inhaltengehörenunter anderem:
◆◆
die Kontrastierung vonMulti- undMonolin-
gualität,
◆◆
der Vergleich der Spracherwerbsverläufe von
Lernenden in der Erst- und Zweitsprache,
◆◆
die Befähigung zur interkulturellen Kom-
munikation sowie
◆◆
die Stärkung der Diagnosefähigkeit im
Hinblick auf die Sprachförderung von Schü-
lerInnen „mit Migrationshintergrund“.
EchteEinblicke
für angehende LehrerInnen
Auch andere Universitäten – insbesondere
diejenigen in den Ballungsräumen mit hoher
Migrationsdichte – versuchen seit einigen Jah-
ren, die Migrationspädagogik stärker in die
Lehrerausbildung zu implementieren. Heute
gehört die Thematisierung von Schule und
Migration an vielen Universitäten zu den Ker-
nelementen der Lehrerausbildung.
Es ist dennoch hervorzuheben, dass die
theoretische Abhandlung um migrationsre-
levante Themen nicht zwangsläufig zu einer
Sensibilisierung der Studierenden gegen-
über Diversität führt. Von großer Bedeutung
könnten außerschulische Praktika in Jugend-
und Familienzentren oder in Migrantenver-
einen sein, die den Studierenden genuine
Einblicke in die Lebenswelten der Kinder und
Jugendlichen „mit und ohneMigrationshinter-
grund“ ermöglichen können.
Sami Ceylan