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thema
Arbeitszeit alsGesundheitsgefährdung
Immermehr
und immer besser?
Wissenschaftliche Studien zeigen ebenso wie die
COPSOQ-Auswertungen aus den Bezirken Düsseldorf
und Münster: Viele Beschäftigte in Schulen leiden
unter chronischem Stress und psychosozialen Belas-
tungen. Die Hauptursache dieser Überlastungen wird in
der im internationalen Vergleich zu hohen Gesamtarbeitszeit
der Lehrkräfte gesehen.
In keinem europäischen Land gibt es so
hohe Stundendeputate wie in Deutschland.
Dies geht aus der „Comparative study of
teachers‘ pay in Europe“ des Europäischen
Gewerkschaftskomitees für Bildung und Wis-
senschaft (EGBW, englisch: ETUCE) aus dem
Jahr 2008 hervor. Arbeitsverdichtung bei den
unterrichtlichenundaußerunterrichtlichenAuf-
gaben, ständiger Zeitdruck und lange tägliche
Arbeitszeiten, fast keine Erholungsphasenwäh-
rend des Unterrichtstags sowie diemangelnde
Balance von Freizeit und Arbeitszeit führen zu
Erschöpfung und Erkrankungen.
Foto: Nanduu/photocase.com
DieAnforderungen steigen stetig
Seit Jahren verlangt das Land NRW als
Arbeitgeber von den Schulen die Übernah-
me immer neuer zusätzlicher Aufgaben und
ständige Qualitätsentwicklung. Die Arbeits-
zeituntersuchung des Landes NRW hat bereits
1999 ergeben, dass alle Lehrkräfte weit mehr
als die zurzeit geltenden 41 Stunden pro Wo-
che arbeiten (s. Infokasten). Die Konsequenz,
die der Arbeitgeber aus diesen Ergebnissen
zog, war nicht etwa die Reduzierung der Ar-
beitsmenge, sondern ihre Ausweitung durch
Ganztag, Inklusion, Schulentwicklung und
vieles mehr. Krank macht dabei nicht nur die
Arbeitsverdichtung, sondern auch die Tatsa-
che, dass Lehrkräfte für schlechte Ergebnisse
bei Vergleichsarbeiten und Qualitätsanalysen
verantwortlichgemacht werden.
COPSOQ – einWegausder Belastung
Inzwischen kommt das Land NRW als Ar-
beitgeber zwar seiner gesetzlichen Verpflich-
tung nach, die psychosozialen Belastungen
der Lehrkräfte amArbeitsplatz Schulemithilfe
von COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Que-
stionnaire) zuerfassen –nachdenRegierungs-
bezirken Düsseldorf und Münster demnächst
auch inDetmold, Arnsberg undKöln.
Das Arbeitsschutzgesetz verlangt vom Ar-
beitgeber jedoch nicht nur, dass er dieGefähr-
dungen erfasst, sondern auch, dass er entspre-
chende Maßnahmen entwickelt und umsetzt,
um diese Gefährdungen zu beseitigen oder zu
reduzieren. Was aber macht das Land NRW
daraus?Das Schulministeriumweist dieseAuf-
gabe ausschließlich den Schulen zu. Sie selbst
sollen die Beurteilung der Gefährdungen
durchführen und Maßnahmen ergreifen –
ohne jegliche zeitliche Entlastung. Zusätzliche
Auswertungstage für die COPSOQ-Schulbe-
richte sind zumBeispiel nicht vorgesehen.
EntlastungdurchBelastung?
Schulleitungen sollen die gesetzlichen Vor-
gaben zum Arbeitsschutz vor Ort umsetzen.
Gutachten zur Arbeitszeit der LehrerInnen inNRW
Fragwürdige Folgerungen
1997 beauftragte die Landesregierung die Fir-
maMummert und Partner mit einemGutachten
zur Lehrerarbeitszeit. Darin sollte die berufsbe-
dingte Arbeitszeit ermittelt und eine differen-
ziertere, effektivere Arbeitszeitregelung vorge-
legtwerden, dieArbeitslastengerechter verteilt.
Ergebnis: Die Jahresarbeitszeit der Lehrkräfte ist
mit über 41 Stunden proWoche deutlich höher als
im öffentlichenDienst. Unterrichtsfreie Zeitenwäh-
rend der Ferien waren hier bereits berücksichtigt.
Außerdemwürden Lehrkräfte zu viel Zeit für die Er-
ledigung ihrer Aufgaben verwenden. Der ermittelte
Durchschnittswert für die einzelnenAufgaben, zum
Teil auch der geringste ermittelte Aufwand, sollte
daher als Norm gelten. Denn: Je geringer der Zeit-
ansatz für außerunterrichtliche Tätigkeiten, desto
höher könne das Land die Pflichtstunden ansetzen.
Keine Landesregierung hat seitdem die Arbeits-
zeiten korrigiert, die Pflichtstunden oder das Auf-
gabenvolumen reduziert. ImGegenteil: Esgabeine
höherewöchentlicheUnterrichtsverpflichtungund
die außerunterrichtlichen Aufgaben durch Schul-
entwicklungundSchulstrukturveränderungenwer-
den bis heute kontinuierlich ausgeweitet. Dabei
hatten die Gutachter gefordert: Wenn das Land
den Schulenweitere Aufgaben überträgt, muss es
diese durch Entlastungen kompensieren.
Die GEW hat den Ansatz und die politischen Fol-
gerungen aus der Arbeitszeituntersuchung heftig
kritisiert: Zu hohe Arbeitszeiten können nicht ge-
rechter verteilt oder durch fragwürdige Effizienz-
vorgaben nivelliert werden. Hier helfen nur eine
Reduzierung der Pflichtstunden und eine Erhö-
hung der Anrechnungsstunden.
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