nds_201405 - page 23

23
nds 5-2014
Sie verfügen jedoch weder über personelle
und finanzielle Ressourcen noch über die
Entscheidungsbefugnis, um beispielsweise
der Lärmproblematik, zu großen Klassen oder
Schadstoffbelastungen
entgegenzuwirken.
So können Schulleitungen notwendige Maß-
nahmen beim Schulträger zwar beantragen,
aber oft nicht durchsetzen. Lehrkräftemüssen
als Sicherheitsbeauftragte, ErsthelferInnen,
Gefahrstoff- und Strahlenschutzbeauftrag-
te an der Schule bestellt werden und haben
dort eine wichtige Funktion. Krisenteams und
Gesundheitszirkel werden vom Arbeitgeber
empfohlen, aber auch diese Sonderaufgaben
sollen zusätzlich erfüllt oder aus dem viel zu
geringen Topf für Anrechnungsstunden bezie-
hungsweise aus der Schulleitungspauschale
gespeist werden. Viele KollegInnen arbeiten
in Teilzeit, weil sie die Anforderungen anders
nicht bewältigen können. Gesundheitsschutz
auf eigene Kosten?
Arbeitsschutzgeht anders!
Die GEW fordert das LandNRW auf, umge-
hend die Konsequenzen aus den vorliegenden
COPSOQ-Berichten zu ziehen und alle Lehr-
kräfte und Schulleitungen in NRW zu entlas-
ten. Als Erstes sind hier angezeigt:
◆◆
eine Senkung der Pflichtstunden für alle
Beschäftigten;
◆◆
mehr stellenwirksame Anrechnungsstun-
den für außerunterrichtliche Aufgaben;
◆◆
weitere Entlastung für neue Aufgaben,
insbesondere bei der Entwicklung gesund-
heitsförderlicherMaßnahmen inder Schule,
das heißt: zusätzliche unterrichtsfreie Tage
zur Auswertung der COPSOQ-Schulberichte
und für Fortbildung;
◆◆
eine Erhöhungder Stellenreserve für Vertre-
tungsunterricht sowie
◆◆
eine Entlastung für ältereBeschäftigte und
BerufseinsteigerInnen.
Was tun, wennderDruck zugroßwird?
Um akuten Belastungssituationen entge-
genzuwirken, empfiehlt dieGEW:
◆◆
Diskutieren Sie Belastungen und gesund-
heitliche Gefährdungen an Ihrem Arbeits-
platz.
◆◆
Nutzen Sie die Möglichkeiten des § 68
Schulgesetz und legen Sie in Lehrerkon-
ferenzen entsprechende Grundsätze fest
– unter anderem für Springstunden, Vertre-
tungen, Mehrarbeit und die Verteilung der
Anrechnungsstunden.
◆◆
Sprechen Sie in Konferenzen und/oder an
Gesundheitstagen über Möglichkeiten des
Belastungsausgleichs wie Teilzeitkonzepte
sowie Pausenregelungen und -räume, die
wirkliche Auszeiten ermöglichen.
◆◆
Bleiben Sie solidarisch: Wenn die Arbeits-
menge zu hoch ist und die Anrechnungs-
stunden zu gering sind, sind Belastungen
und Entlastungen nicht gerecht zu ver-
teilen. Dennoch muss gelten: Keine Ent-
lastung einer Gruppe zu Lasten anderer!
Machen Sie deshalb in den COPSOQ-Befra-
gungen deutlich, dass das Aufgabenvolu-
men die zeitlichen Ressourcen übersteigt.
Dokumentieren Sie diese Belastungen und
leiten Sie sie mit Forderungen für Entlas-
tungsmaßnahmenan Schulministerium, Be-
zirksregierung und Schulamt weiter – unter
Bezug auf dieGefährdungsbeurteilungund
das Arbeitsschutzgesetz. Schicken Sie eine
Kopie an den Personalrat.
Wokommt dasGeldher?
Das Land NRW muss Belastungen senken
und gesundheitliche Gefährdungen beseiti-
gen, wenn sie dokumentiert sind, und die er-
forderlichenMittel bereitstellen – so verlangen
es dasArbeitsschutz- unddasHaushaltsgrund-
sätzegesetz. Bestehen Sie darauf, dass der Ar-
beitgeber diese Gesetze anwendet! Die GEW
und ihre Personalräte unterstützen Sie dabei.
Anne Ruffert, KarinBehler, Harda Zerweck
Nachgefragt
nds: Der Aktionsrat
Bildung hat kürzlich
seinaktuellesGutach-
ten „Psychische Bela-
stungen und Burnout
beim Bildungsperso-
nal“ veröffentlicht, an
demSiemitgearbeitet
haben. Wie groß ist
die Belastung am Ar-
beitsplatz Bildung?
Prof. Dr. Bettina Hannover:
Die Quoten über-
lasteter Personen sind hier zwei- bis dreimal so
hoch wie in vergleichbaren Berufen. Es steht zu
befürchten, dass Betroffene in der Qualität der
Arbeit, die sie leisten, hinter ihrem Potenzial
zurückbleiben. Von 2,1 Millionen Beschäftigten
im Bildungswesen in 2012 stellen die 950.000
Lehrkräfte die größte Einzelgruppe dar. Wenn
10 Prozent bis 30 Prozent des Bildungsperso-
nals ausgebrannt sind oder an akuten psychi-
schen Problemen leiden, dann sind 210.000 bis
630.000Personenbetroffen – davon95.000bis
285.000 Lehrkräfte.
Wer ist besonders vonBurn-out betroffen?
Die Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen zeigt
die höchsten Burn-out-Prävalenzraten, Frauen
sind deutlich häufiger betroffen als Männer. In-
teressanterweisehängt Burn-out positivmit dem
sozioökonomischen Status zusammen: Andere
Formen vonpsychischenBeeinträchtigungen tre-
ten umso häufiger auf, je geringer die materiel-
len, sozialen und Bildungsressourcen der Person
sind. Bei Burn-out ist es genau umgekehrt.
Wie kann in Zukunft Prävention gelingen, um
die Gesundheit der Beschäftigten und die
Qualität vonBildung zu sichern?
Zum einen müssen die Schutzfaktoren durch
Förderung von berufsspezifischen Kompetenzen
gestärkt werden, die einen effizienten und we-
nig belastenden Umgang mit berufsspezifischen
Anforderungen unterstützen. Dazu gehören bei-
spielsweise die Integration früher Praxiserfah-
rungen in das Studium sowie die Bereitstellung
regionaler Angebote zum Stressmanagement.
Nicht zuletzt müssen bis 2025 pro Jahr minde-
stens26.000neue Lehrkräfteeingestelltwerden.
Zum anderen müssen die Risikofaktoren durch
Maßnahmen zur Organisationsentwicklung im
Bildungswesen gesenkt werden – zum Beispiel
durch die Förderung von Kooperation im Team
und zwischen Team und Leitung, durch die Ver-
besserung sozialer Unterstützungssysteme sowie
durch Supervision und Weiterbildung des Lei-
tungspersonals. Auch der Aufbau eines betrieb-
lichen Gesundheitsmanagements in Bildungsin-
stitutionen ist für die Senkungder Risikofaktoren
unerlässlich.
Gutachten
PsychischeBelastungenundBurnoutbeimBildungspersonal
vbw – Vereinigung derBayerischenWirtschaft e. V. (Hrsg.)
ISBN 978-3-8309-3085-3
vbw –VereinigungderBayerischenWirtschaft e.V. (Hrsg.)
DerAktionsratBildung isteinpolitischunabhängigesGremium,dem folgendeMitgliederangehören:
Prof.Dr.Dieter Lenzen
Vorsitzender des Aktionsrats Bildung, Präsident der
Universität Hamburg, Vizepräsident der Hochschul-
rektorenkonferenz
Prof.Dr.Dr. h. c.Hans-PeterBlossfeld
EuropäischesHochschulinstitut (EuropeanUniversity
Institute)Florenz,Professor fürSoziologie
Prof.Dr.WilfriedBos
TechnischeUniversitätDortmund,Direktordes Instituts
fürSchulentwicklungsforschung (IFS)
Prof.Dr.Hans-DieterDaniel
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich,
Leiter der Evaluationsstelle derUniversität Zürich
Prof.Dr.BettinaHannover
FreieUniversitätBerlin, Leiterin desArbeitsbereichs
fürSchul-undUnterrichtsforschung imFachbereich
Erziehungswissenschaft undPsychologie
Prof.Dr.ManfredPrenzel
TechnischeUniversitätMünchen, InhaberdesSusanne
Klatten-Stiftungslehrstuhls für Empirische Bildungs-
forschung undDekan der TUMSchool of Education
Prof.Dr.Hans-GüntherRoßbach
Otto-Friedrich-UniversitätBamberg, Inhaberdes Lehr-
stuhls fürElementar-undFamilienpädagogik,Direktor
des Leibniz-Instituts fürBildungsverläufe (LIfBi)
Prof.Dr.Rudolf Tippelt
Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen, Inhaberdes
Lehrstuhls für Allgemeine Pädagogik und Bildungs-
forschung
Prof.Dr. LudgerWößmann
Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen,Leiterdes
ifoZentrums fürBildungs-und Innovationsökonomik
vbw –VereinigungderBayerischenWirtschaft e.V. (Hrsg.)
Gutachten
Hans-PeterBlossfeld,WilfriedBos,Hans-DieterDaniel,BettinaHannover,DieterLenzen,
ManfredPrenzel,Hans-GüntherRoßbach,RudolfTippelt,LudgerWößmann
und als externerExperteDieterKleiber
Dass Burnout zu einer „gesellschaftsfähigen“ Selbst- oder Fremddiagnose geworden ist,mag ein dritterGrund für die starkemediale Verarbeitung d
Themas sein. Sowaren inDeutschland in den vergangenen Jahren vielfachBerichte vonProminenten über ihre persönlichenKrisenAnlass für diemedi
Berichterstattung über die Bedeutung psychischer Störungen in der Bevölkerung. Anscheinend verstehen sichmanche Betroffene auch lieber als „a
gebrannt“ denn als „depressiv“. Da es keine verbindlichen Regeln gibt,wann jemand als „ausgebrannt“ zu diagnostizieren ist,mag Burnout zu ei
Zusatzdiagnose fürMenschenmit affektivenStörungengeworden sein.Siewird vondenBetroffenen angenommen,weil siemit ihrem subjektivenEindru
imEinklang istundmiteinerhöherengesellschaftlichenAkzeptanzeinhergeht.
Zusammenfassend sprechendieoben zitiertenStudiendafür,dassBurnoutbeiBeschäftigten imBildungsbereich nicht nur ein
bedeutsamesProblemdarstellt,weil vieleBetroffene frühverrentetwerdenoderdurch häufige Fehltage auffallen.Darüber hin-
aus – insofernBurnout inbeträchtlichemUmfang vorkommt –wirddieQualitätdesBildungssystems insgesamtbeeinträchtigt,
dasPotenzialder zuErziehendenoder zuBildendenweniger effektivgefördertund somitwerdenwenigerguteLernergebnisse
erzeugt.DassauchBeschäftigte inanderen InstitutionendesBildungswesens –außerdenambestenuntersuchtenLehrkräften
anSchulen – in ihrer beruflichen Tätigkeit hinter ihrenMöglichkeiten zurückbleiben, istwahrscheinlich.
DasGutachten richtet sich insofern an dieBildungspolitik, aber in gleicherWeise auch an dieBildungs-
einrichtungen selbst,weil beide ihrenBeitrag zuPräventionsmaßnahmen leistenmüssen.Dies hat nicht
nurfinanzielle, sondernauchorganisatorische Implikationenundauch solche,diedieAufklärungderBe-
schäftigten imBildungsbereich betreffen. Letztlichwird es darauf ankommen, ausreichende Sensibilität
für schädigende Arbeitsverhältnisse in gleicherWeise zu entwickelnwie für Verhaltensweisen des Per-
sonals selbst, das sich oftmals ausUnkenntnis und auch aus dem grundsätzlich positiv zu bewertenden
Willen,alles richtig zumachen, selbstStressorenausliefert,obwohlesüberkeineprofessionellenStrate
Die Sensibilität für psychische Erkrankungen ist in der breiten Öffentlichkeit enorm gestiegen.
Allerdings ist der in denMedien häufig hergestellte kausale Zusammenhang zwischen der stei-
genden Zahl psychischer Erkrankungen, „Burnout“, und den veränderten Bedingungen in der
Arbeitsweltwissenschaftlich nicht haltbar,weil die Ursachen psychischer Belastungen vielfältig
sind. Da psychischen Störungen im Hinblick auf Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung eine
wachsendeBedeutung zukommt,widmetderAktionsratBildungdiesemThemaeineigenesGut-
achten. Er richtet den Fokus auf die Situation des Bildungspersonals und geht auf psychische
Belastungen sowiedas subjektiveErleben vonStressein.EmotionaleErschöpfungundpsychische
Beanspruchung können zu einer reduzierten LeistungsfähigkeitderBetroffenen führen und somit
direkten negativen Einfluss auf dieBildungsqualität nehmen.Der AktionsratBildung spricht des-
halb Empfehlungen zum Umgangmit psychischen Belastungen sowie zur Prävention und Inter-
vention aus;Risikofaktoren fürdie psychischeGesundheitmüssenminimiert undSchutzfaktoren
gestärktwerden.DieStudie richtetsichandieBildungspolitikunddieBildungseinrichtungenselbst,
dabeide ihrenBeitrag zurPräventionpsychischerErkrankungen leistenmüssen.
EGBW/ETUCE: Comparative study
of teachers’ pay in Europe
Aktionsrat Bildung: Gutachten
„PsychischeBelastungenund
Burnout beimBildungspersonal“
NDR Info: Lehrer vor demBurn-
out, Sendung „Redezeit“ vom
23. April 2014
AnneRuffert
LeitungsteamReferat L
(Arbeits- undGesundheitsschutz)
der GEWNRW
Harda Zerweck
LeitungsteamReferat L
(Arbeits- undGesundheitsschutz)
der GEWNRW
KarinBehler
LeitungsteamReferat L
(Arbeits- undGesundheitsschutz)
der GEWNRW
Foto: FotostudioMenarch
Prof. Dr. BettinaHannover
FreieUniversität Berlin,
Fachbereich Erziehungswissen-
schaft und Psychologie,
Arbeitsbereich Schul- und
Unterrichtsforschung
1...,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22 24,25,26,27,28,29,30,31,32,33,...40
Powered by FlippingBook