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nds 5-2014
Arbeitszeitdiskussion imBildungsbereich
GuteBildungbraucht guteArbeitsbedingungen
Es gleicht einem jährlichen Ritual: Die Gewerk-
schaften betätigen sich in den Tarifrunden als
Lohnlokomotive, auch für die nichtorganisierten
Beschäftigten. Doch aufgrund von Massenar-
beitslosigkeit und schwindendenMitgliederzah-
len gelingt es ihnen immer weniger, den vertei-
lungsneutralen Spielraum – Inflationsausgleich
plus Produktivitätszuwachs – auszunutzen. Für
Lehrkräfte in NRW hat diese Entwicklung, ge-
paart mit der chronischen Unterfinanzierung
des Bildungsbereichs, fatale Folgen.
Mit der Einführungdes Tarifvertrags für denÖffent-
lichen Dienst der Länder 2006 mussten tarifbe-
schäftigte Lehrkräfte erhebliche Einkommensein-
bußen hinnehmen. Die Dienstrechtsreform hat für
beamtete Lehrkräfteähnliche Folgen. Etwa13.000
Lehrkräfte sind über Jahre befristet eingestellt
und müssen als Sparopfer für eine verfehlte Wirt-
schaftspolitik herhalten. Hoch motivierte, bes-tens
ausgebildete Lehrkräftewerden trotz sehr guter Ex-
aminanicht indenSchuldienst eingestellt, sondern
in denHartz-IV-Bezug geschickt.
LehrerInnenbrauchenEntlastung
Die Apologeten neoliberaler Wirtschaftspolitik
werden nicht müde, gerade den öffentlichen
Dienst und somit auch die Beschäftigten im Bil-
dungsbereich als unproduktiv abzustempeln, um
zubegründen, dassmandieArbeitszeit noch erhö-
hen sollte. Die Schuldenbremse wirdmissbraucht,
umdenRuf nachArbeitszeitverlängerungen lauter
werden zu lassen. So fordert der Landesrechnungs-
hof NRW die Kürzung der Altersentlastung bei
Lehrkräften, was nichts anderes als eine Gehalts-
kürzung für die Beschäftigten und denAusschluss
von arbeitslosen Lehrkräften von einer existenz-
sichernden Tätigkeit bedeutet. Zusätzlich setzt
die NRW-Landesregierung auf weitere Arbeitsver-
dichtung: Die KollegInnen im Regierungsbezirk
Köln leisteten im Schuljahr 2011/2012 160.000
Stunden bezahlte Mehrarbeit. Eine ausreichende
Vertretungsreserve ist dringendnotwendig, umdie
miserablen Arbeitsbedingungen an den Schulen
nicht nochweiter zu verschlechtern. DieBelastung
wird durch neue außerunterrichtliche Aufgaben,
die sich unter anderem durch eine sich verän-
dernde Bildungslandschaft ergeben, verschärft.
Die Folgen dieser Arbeitgeberpolitik liegen auf
der Hand: Arbeitsverdichtung, eingeschränkte
Erholungsmöglichkeiten sowie der Mangel an An-
erkennung und Wertschätzung führen vermehrt
zu Stresserkrankungen, die den Hauptgrund für
Frühverrentungendarstellen. Einschlägige Studien
fordern daher eine Redu-
zierung der Arbeitszeit
von Lehrkräften auf
circa 20 Pflicht-
stunden.
Wirtschaftswissen-
schaftler Heinz-J.
Bontrup fordert
mittelfristig in
den näch-
sten fünf
Jahren die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn-
und Personalausgleich. Dies könne aufgrund der
nicht vollzogenen Arbeitszeitverkürzung in der
Vergangenheit nur noch durch eineUmverteilung
von oben nach unten realisiert werden. Die ge-
samtwirtschaftliche Gewinnquote müsse deshalb
adäquat sinken. Wie kann die Finanzierungs-
grundlage für eine Arbeitszeitverkürzung im Bil-
dungsbereich erwirtschaftet werden? Kategorien
wie Produktivität und Gewinn sind hier kaum an-
wendbar. Lehrkräfte arbeiten zwar hochproduktiv,
wenn sie erfolgreichUnterrichtsinhalte vermitteln
und Methoden anwenden, die die SchülerInnen
stärker in den Unterricht einbeziehen, doch lässt
sich ihre Arbeitsproduktivität schlecht in abso
luten Zahlenmessen.
KürzereArbeitszeiten sinnvoll finanzieren
Massenarbeitslosigkeit ist teuer. Trotz der Kürzung
von Fördermitteln für Langzeitarbeitslose unter
der schwarz-gelben Bundesregierung lagen die
Kosten für die Arbeitslosenunterstützung in 2013
bei weit über 50MilliardenEuro. DiesesGeldwür-
de bei Vollbeschäftigung frei und könnte besser
angelegt werden: ImBildungsbereichwird es drin-
gend benötigt, auch um bessereArbeitsbedingun-
gen und faireArbeitsverhältnisse zu schaffen.
Weiterhin gilt es, die Staatsschuldenkrise umzu-
deuten. Für die hohe Staatsverschuldung gibt es
drei Gründe: dieWiedervereinigung, die Steuerge-
schenke seit 1998unddieBankenrettung. Hier ist
die Politik zumUmdenkenaufgefordert!Die Profi-
teureder Steuergeschenkeundder Bankenrettung
müssen sich solidarisch an der Staatsfinanzierung
beteiligen. Dass genügend Verteilungsspielraum
vorhanden ist, zeigt der Reichtumszuwachs pri-
vater Haushalte, der von 1991 bis 2009 um
186,1 Prozent auf etwa 3.139,7 Milliarden Euro
angewachsen ist. Dieser Prozentsatz entspricht
ungefähr der Zunahmeder Staatsverschuldung im
gleichen Zeitraum.
Im Haushalt des Landes NRW gibt es drei große
Positionen: die Zuwendungen an die Kommunen,
den Personalbereich und den Bildungssektor.
Die Länder müssen entsprechende Finanzmit-
tel erhalten, um ihren eigentlichen Aufgaben
nachkommen zu können. Die Wiedereinführung
der Vermögenssteuer, die nachArtikel 116Grund-
gesetz den Ländern zusteht, würde nach dem
steuerpolitischen Konzept der GEW rund 20Milli-
ardenEuro in ihreKassen spülenund ihnenneuen
Handlungsspielraum verleihen.
Eine solche Bündelung von finanziellen Maßnah-
menwürde das LandNRW auch davon entlasten,
angesichts der Schuldenbremse nach neuen Kür
zungsmöglichkeiten im Personalbereich suchen
zumüssen. Vielmehr wäre auch einUmdenken in
der Personalpolitik im Bildungsbereich möglich,
die Lehrkräfteanscheinendnur alsKostenfaktor
sieht.
JochenBauer,
Referat A (Dienstrecht,
Besoldung undVergütung)
der GEWNRW
Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup
Wirtschaftswissenschaftler an
derWestfälischenHochschule
Gelsenkirchen
Foto: Nanduu/ photocase.de
konstant. Und das Schöne für Unternehmer:
Auch ihre Gewinne steigen automatisch um
zwei Prozent inHöhe der Produktivitätsrate.
Zeit für gerechteUmverteilung
KritikerInnen sagen deshalb zu Recht, die
Beschäftigten und Arbeitslosen finanzierten
ihre Arbeitszeitverkürzung selbst. Es kommt
in der Tat zu einer klassenimmanenten Um-
verteilung. Dies ist natürlich überhaupt nicht
einzusehen: Auch die Besitzeinkommensemp-
fänger haben sich zu beteiligen. Das müssen
sie schon deshalb, weil in der Vergangenheit
versäumt wurde, die Arbeitszeiten gemäß
der gestiegenen Produktivität zu verkürzen.
Die 30-Stunden-Woche wird sich daher heute
nicht mehr innerhalb eines Jahres umsetzen
lassen. Eswerdenmindestens fünf Jahre nötig
sein, mit einer Verkürzung der Arbeitszeit um
fünf Prozent in jedem Jahr.Umdas zufinanzie-
ren, wäreeineProduktivitätsrate vonebenfalls
fünf Prozent pro Jahr nötig, die jedoch nicht
realistisch ist: Von 2000 bis 2013 stieg die
Produktivität im Jahresdurchschnitt nur um
knapp 1,2 Prozent. Etwa vier Prozentpunkte
müssten folglich aus Besitzeinkommen aufge-
bracht werden. Vor dem Hintergrund der gi-
gantischen Umverteilung in Deutschland seit
dem Jahr 2000 inHöhe von gut 1,1 Billionen
Euro vondenArbeits- zudenBesitzeinkünften
ist dies jedoch – rein ökonomisch betrachtet
– überhaupt kein Problem. Die Lohnquote
müsste nur wieder ein Stückweit ansteigen.
Das ist natürlich nicht im Sinne der Unter-
nehmer undKapitaleigner sowie ihrer Verbün-
deten in Politik, Wissenschaft und Medien.
Wer Arbeitszeitverkürzung oder Lohnerhö-
hungen fordert, stellt die Machtfrage. Daher
bedarf es eines breiten Gegenbündnisses
von Gewerkschaften, Arbeitsloseninitiativen,
Kirchen, Sozial- und Umweltverbänden, um
die dringend notwendige kollektive Arbeits-
zeitverkürzung als gesamtgesellschaftliches
Projekt umzusetzen. Der Erfolg wird davon
abhängen, wie eineumfassendeAufklärung –
eine ökonomische Alphabetisierung – gelingt
und wie eine intensive Debatte in Betrieben,
staatlichen Verwaltungen und Bildungsein-
richtungen, letztlich in der ganzen Gesell-
schaft geführt wird.
Heinz-J. Bontrup