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Thema
Plädoyer für die30-Stunden-Woche
Arbeitslosigkeit
ist keinNaturgesetz
Dennoch geht in Deutschland die Arbeit
nicht aus. Im öffentlichen Sektor gibt es viele
Defizite in der Infrastruktur, im Bildungs- und
Umweltbereich oder bei öffentlichen Dienst-
leistungen. Hier könnten gesellschaftlich
sinnvolleArbeitsplätzegeschaffenundArbeits-
stunden absorbiert werden. In der privaten
Wirtschaft dagegen wird viel überflüssiger
Schrott produziert. Würden wir darauf zum
Wohle der Umwelt verzichten, müsste die aus-
fallende Produktion zusätzlich durch Arbeits-
zeitverkürzungen aufgefangenwerden.
Der absehbaredemografischeBevölkerungs-
rückgang wird die Lücke zwischen Arbeitsan-
gebot und -nachfrage nicht schließen können.
Zwar geht das gesamtwirtschaftliche Arbeits-
angebot in den nächsten 20 bis 30 Jahren
zurück, dies reicht aber nicht annähernd, umal-
len erwerbsfähigen Menschen in Deutschland
Vollzeitarbeit zu bieten. Denn erstens: Wie
schon in der Vergangenheit wird die Produkti-
vitätsrate in der Wirtschaft höher ausfallen als
die realeWachstumsrate des Bruttoinlandspro-
dukts unddamit das benötigteArbeitsvolumen
sinken. Und zweitens: Selbst wenn zukünftig
diese beiden entscheidenden Raten gleich
großwären, könntedennochdie seitMitteder
1970er Jahre bestehendeMassenarbeitslosig-
keit und Unterbeschäftigung nicht abgebaut
werden.
Geißel Arbeitslosigkeit
Dies muss aber nicht sein. Arbeitslosigkeit
ist kein Naturgesetz. Eine 30-Stunden-Woche
für alle könnte entscheidend die „Geißel Ar-
beitslosigkeit“, die einen „Gewaltakt gegen
Menschen“ (Oskar Negt) bedeutet, bekämp-
fen. Arbeitszeitverkürzung verbessert nicht
nur die Arbeitsbedingungen ohne Burn-outs,
sondern beendet auch die Exklusion der Ar-
beitslosen aus der Gesellschaft, ihr Minder-
wertigkeitsgefühl, ihre Scham, und bringt sie
wieder in Arbeit und Brot. Auch kann durch
Arbeitszeitverkürzungen die geschlechterge-
rechtere Aufteilung der Hausarbeit, der Erzie-
hungs- und Pflegearbeit nachhaltig verbessert
werden. Die Lebensplanung insgesamt erhält
einen höheren Freiheitsgrad durch weniger
fremdbestimmte Arbeit in Unternehmen und
öffentlichen Einrichtungen. Nicht zuletzt brau-
chen wir eine Arbeitszeitverkürzung auch um
mehr Zeit für ein gesellschaftliches und poli-
tisches Engagement zu haben.
Wer profitiert?
Und die Gesellschaft würde durch Arbeits-
zeitverkürzung von jährlich 50 bis 70 Milli-
arden Euro fiskalische Kosten, die durch die
Massenarbeitslosigkeit entstehen, befreit.
Wäre die Wirtschaft – nur für die Jahre von
2001bis 2013 – vollbeschäftigt gewesen, hät-
te der Staat im selben Zeitraum nicht zusätz-
lich 625 Milliarden Euro neue Schulden ma-
chen müssen. Im Gegenteil: Die öffentlichen
Haushalte hätten einen Überschuss in Höhe
vongut 17MilliardenEuro verbuchen können.
Die wesentliche Ursache für Staatsverschul-
dung in Deutschland ist eben nicht ein an-
geblich verschwenderischer Staat, sonderndie
Massenarbeitslosigkeit. Die einzigen, die von
Arbeitslosigkeit profitieren, sind Unternehmer
und Kapitaleigner: Ein ständiger Überschuss
an Arbeitskräften drückt die Löhne und hilft,
die Wertschöpfung zu den Besitzeinkommen
in Form von Gewinnen, Zinsen, Mieten und
Pachten umzuverteilen.
Voller Lohnausgleich istmachbar
Rein ökonomisch wäre die Umsetzung
von Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn-
und Personalausgleich ganz einfach. Wenn
beispielsweise in einer Volkswirtschaft die
Produktivität um zwei Prozent zulegt, kann
auch der Lohnsatz um diese zwei Prozent stei-
gen und gleichzeitig die Arbeitszeit um zwei
Prozent gesenkt werden. Das bedeutet, die
Beschäftigten behalten ihr Einkommen und
arbeiten dafür in Höhe der Produktivitäts-
rate weniger. Durch die freigesetzte Zeit der
Beschäftigten können dann Arbeitslose und
Unterbeschäftigte eine Vollzeitstelle zu den
gleichen Bedingungen erhalten. Das gesamt-
wirtschaftliche Ergebniswäre nicht belastend,
sondern lohnstückkostenneutral. Die Lohnkos-
ten pro produzierte Leistungseinheit blieben
Im Jahr 2013 haben gut 37Millionen abhängig Beschäf-
tigte 49 Milliarden Arbeitsstunden erbracht. Wären die
knapp2,9Millionen registriertenArbeitslosenunddie4,7
Millionen Unterbeschäftigten ebenfalls an den Arbeits-
märkten unter Vollzeitbedingungen nachgefragt worden,
hätten weitere zehn Milliarden Arbeitsstunden Verwen-
dung findenmüssen. Dies verdeutlicht das ganze Problem:
OhneArbeitszeitverkürzungmit einer kurzenVollzeit für alle,
wird es inDeutschland niewieder Vollbeschäftigung geben.
Heinz-J. Bontrup/Mohssen
Massarrat: Offener Brief andie
Vorstände der Gewerkschaften,
Parteien, Sozial- undUmweltver-
bände undKirchenleitungen in
Deutschland, 30-Stunden-Woche
fordern!
ZumWeiterlesen
Heinz-J. Bontrup/
MohssenMassarrat:
Arbeitszeitverkürzung jetzt!
30-Stunden-Woche fordern!
Mit demManifest zur
BekämpfungderMassen-
arbeitslosigkeit
pad-Verlag, 2013, 5,- Euro
Bestellung per E-Mail an:
Foto: istockphoto.com/ parema
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