nds: Sie haben gerade Ihr zweites Buch zum
Thema Mobbing veröffentlicht und sind häu-
fig als Referentin unterwegs. Welche Ziele
verfolgen Ihre Publikationen und Vorträge?
Sylvia Hamacher:
Ich möchte anderen Be-
troffenen Mut machen und ihnen zeigen, dass
es einen Weg raus aus der Misere gibt und
man nicht zwangsläufig am Mobbing zerbre-
chen muss. Man kann da rauskommen, wenn
man sich Hilfe sucht und bereit ist, intensiv an
der Stärkung des Selbstwertgefühls zu arbei-
ten. Natürlich richtet sich meine Arbeit auch
an die TäterInnen, die durch meine Intros-
pektion erfahren, welchen Schmerz Betroffene
empfinden. Manchmal sind sich die Täte-
rInnen dessen gar nicht bewusst. Ich möchte
aber auch die Menschen erreichen, die von
sich selbst behaupten, bislang nie etwas mit
Mobbing zutun gehabt zu haben. Ich möchte
ihnen Möglichkeiten aufzeigen, Mobbing in ih-
rem Umfeld zu erkennen und zu intervenieren.
Mobbing ist ein Gruppenprozess: TäterInnen
würden ohne positives Feedback der Gruppe
niemals mit ihrem Verhalten durchkommen.
Solange die Gruppe das Verhalten der Täte-
rInnen belohnt, werden diese nicht aufhören.
Das zeigt deutlich, dass jede und jeder von
uns dazu beitragen kann, Mobbing keine
Chance zu geben. Ich möchte die Menschen
animieren, diese Chance auch zu nutzen.
In Ihrem Buch nennen Sie viele Fallbei-
spiele. Wie konnten Sie diese erhalten?
Ich habe in meinen Vorträgen und auf mei-
ner Homepage im Projekt „Licht ins Dunkel
bringen“ andere Betroffene, Außenstehende
und TäterInnen dazu aufgerufen, mir ihre per-
sönlichen Erfahrungen mit Mobbing zu schil-
dern. Damit wollte ich deutlich machen, dass
Mobbing ein flächendeckendes Problem aller
Altersklassen darstellt und ich kein Einzelfall
bin. Die Beteiligung war sehr groß und ich
habe sogar mehr Geschichten zusammenge-
tragen als ich im Buch abdrucken konnte. Alle
TeilnehmerInnen erhoffen sich auch endlich po-
litisch Gehör zu bekommen, damit der Psycho-
terror an unseren Schulen ein Ende nimmt.
Wie haben Sie in Ihrer Schulzeit das Verhält-
nis zwischen LehrerInnen und SchülerInnen
in Bezug auf das Thema Mobbing erlebt?
Ich persönlich hatte überwiegend das Ge-
fühl, dass meine LehrerInnen vollkommen
überfordert mit dem Thema Mobbing waren.
Das ist verständlich, denn keiner von ih-
nen hat eine Ausbildung in diesem Bereich
absolviert. Das hat dazu geführt, dass ich
ganz alleine mit dem Problem dastand und
meine LehrerInnen mir aus lauter Hilflosigkeit
später sogar selbst die Schuld dafür gaben,
dass mich meine MitschülerInnen psychisch
hinrichteten. Als das Mobbing dann nach
meinem Schulwechsel in der Oberstufe wie-
der losging, hatten meine LehrerInnen zwar
ein offenes Ohr, waren allerdings dann der
Ansicht, dass wir dieses Problem als junge
Erwachsene schon selbst bewältigen könnten.
Das ist ein Irrtum, denn Mobbing erfordert als
gruppendynamischer Prozess immer Interven-
tion durch Außenstehende, die nicht selbst im
System stecken und darin positioniert sind.
Inwiefern helfen Ihnen Ihre persönlichen
Erfahrungen bei Ihrer Aufklärungsarbeit?
Meine persönliche Betroffenheit ermöglicht
es mir, mich in Betroffene hineinzuversetzen
und ihren Schmerz zu teilen. Betroffene wün-
schen sich nichts sehnlicher, als verstanden
zu werden. Zudem erreicht ein authentischer
Vortrag die SchülerInnen auf eine ganz an-
dere Weise, als es ein Lehrvortrag je könnte.
Ich spreche die SchülerInnen durch meine
Geschichte emotional an. Und zu guter Letzt
ist es immer leicht zu sagen „Ihr könnt da raus-
kommen“, wenn man so etwas selbst nie be-
werkstelligen musste. Deshalb haben mein zu-
rückgewonnenes Selbstbewusstsein und meine
Lebensenergie einen anderen Stellenwert für
die SchülerInnen und das macht ihnen Mut.
Haben Sie konkrete Tipps für Lehrkräfte, um
Mobbing zu unterbinden?
Ich bin der Ansicht, dass LehrerInnen in die-
sem Bereich ausgebildet werden sollten, um
Mobbing zu erkennen und richtig eingreifen
zu können. Solange dies noch nicht der Fall ist,
empfehle ich allen Lehrkräften, sich dennoch
mit dem Thema zu befassen, um zu begreifen,
was Mobbing mit Betroffenen macht und Hin-
weise darauf zu erhalten, was man in keinem
Fall tun sollte. Wichtig ist, sie niemals bloßzu-
stellen und vor der Klasse als „Opfer“ zu outen.
Darüber hinaus sollten LehrerInnen versuchen,
Situationen zu vermeiden, die für Betroffene
demütigend sind – das ist zum Beispiel beim
Wählen in die Mannschaft im Sportunterricht
der Fall. Am allerwichtigsten ist jedoch, Be-
troffenen zu zeigen, dass man als LehrerIn
hinter ihnen steht, ein offenes Ohr hat und die
Schuld nicht bei ihnen selbst sucht.
Welche Angebote machen Sie für Schulen?
Ich halte Vorträge für SchülerInnen, um
sie zu sensibilisieren und ihnen ihre enorme
Verantwortung aufzuzeigen. Aber auch, um
für mehr Toleranz und Zivilcourage zu werben.
Gemeinsam mit meiner Mutter, Brigitte Hama-
cher, die nach meinem Mobbing ein Studium
zur psychologischen Beraterin, zum Business-
coach und Anti-Mobbingcoach abgeschlossen
hat, gebe ich auch Workshops als Präventions-
maßnahme oder auch für betroffene Klassen.
Natürlich unterstützen wir auch Lehrkräfte
mit Vorträgen ebenso wie wir die Aufklärung
der Eltern übernehmen. Um das Mobbing
an unseren Schulen nachhaltig zu stoppen,
müssen alle Instanzen – also LehrerInnen,
SchülerInnen und Eltern – gemeinsam daran
arbeiten und jeweils ihren Teil dazu beitragen.
Die Fragen für die nds stellten
Klaus D. Lange und Sherin Krüger.
Buchautorin Sylvia Hamacher im Interview
Aufklärung leisten, Mut machen
Bis in die Oberstufe wurde Sylvia Hamacher von ihren MitschülerInnen ge-
mobbt. Ihre Erfahrungen nutzt sie heute, um an Schulen Präventions- und Auf-
klärungsarbeit zu leisten. Sie unterstützt SchülerInnen, Eltern und Lehrkräfte,
um Mobbing an Schulen nachhaltig zu stoppen. Die nds sprach mit der 21-
jährigen Buchautorin über ihre Arbeit und Tipps für den Schulalltag.
Sylvia Hamacher leistet als Betroffene Präventionsarbeit
zum Thema Mobbing an Schulen.
Foto: R.Hamacher
Profil Sylvia Hamacher
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