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nds 1-2014
Anschluss das eine oder andere Arbeitsblatt
– konsequent weitergehen will, ist es gut,
zunächst ein alternatives Unterrichtskonzept
zu entwickeln. Der erste Grundsatz: Gemein-
sames Lernen steht immer am Anfang! Es
ist unaufgebbar und gewissermaßen die eine
Säule des Konzepts. Es sichert die gute Ver-
mittlung neuer Unterrichtsinhalte durch die
Lehrkraft, es sichert das soziale Lernen durch
Kooperation und wechselseitiges Lernen.
Schnell wird sich ergeben, dass schon
bei der Erarbeitung Differenzierungsnotwen-
digkeiten entstehen. Die einen können et-
was sehr schnell aufnehmen, die anderen
brauchen Zeit und einfache Aufgaben. Eine
Zwischenbilanz – eine sogenannte Bilanzkon-
ferenz – kann an dieser Stelle erfolgen: Wo ste-
hen wir? Was ist verstanden? Was noch nicht?
Die zweite Säule des alternativen Unter-
richtskonzepts ist die Binnendifferenzierung,
die aus vier Subkonzepten zu bauen ist:
Nachgehende Differenzierung
Das einfachste Subkonzept besteht da-
rin, Zeit zu geben für die Vervollständigung
von Lernprozessen. Mit einer Staffelung von
Aufgabenangeboten können sich alle Schü-
lerInnen darum bemühen, die gesetzten Lern-
ziele zu erreichen. Aus der Lernpsychologie
ist bekannt, dass der Lernprozess erst voll-
ständig ist, wenn Lernende über Lerninhalte
und Operationen verfügen können. Bleibt ein
Lernprozess unvollständig, weil beispielsweise
die nötige Zeit fehlt, sind Vergessensprozesse
schnell die Folge.
Intensivdifferenzierung
Wenn das Lernen bei einzelnen oder gar
bei vielen SchülerInnen nur sehr schwer ge-
lingt, wird Intensivdifferenzierung wichtig.
In diesem Fall sind Einfachprogramme in
Form von kürzeren Texten, einfachen Aufga-
ben oder einem Set von Lernhilfen gefragt,
wenn das Lernen in kleinen Schritten erfolg-
reich bleiben soll. Von den ursprünglichen Zie-
len und Ansprüchen ist erst einmal Abstand
zu nehmen.
Zieldifferente Differenzierung
Mit der Einrichtung inklusiver Klassen wird
es notwendig werden, für einzelne Schüle-
rInnen oder für eine kleinere Gruppe von
den Jahrgangszielen Abstand zu nehmen und
Vereinfachungs- beziehungsweise Elementari-
sierungsprogramme zu entwickeln. Die kogni-
tiven Ansprüche müssen reduziert werden. Mit
Kurztexten, Einfachaufgaben und vielen Lern-
hilfen kann ein Lernprogramm auf einfachem
Niveau angeboten werden. Wenn zum Beispiel
ein Diktat mit 120 Wörtern geschrieben wird,
gibt es das Diktat für SchülerInnen mit Lern-
handicaps als Lückentext und dazu eine Liste
mit den einzusetzenden Wörtern.
Wahl- und Selbstdifferenzierung
Nun gibt es aber auch immer eine Gruppe
von SchülerInnen, denen das Lernen leichter
fällt, die schnell vorankommen. Man kann
sie zeitweise in Helferdienste einbinden, sie
müssen grundsätzlich aber auch ihre Mög-
lichkeiten erfolgreichen Lernens bekommen.
So zielt das vierte Subkonzept auf Angebote,
die anspruchsvollere und weitergehende Auf-
gaben beinhalten. Wenn zum Beispiel zu Be-
ginn einer Unterrichtseinheit eine Landkarte
der Teilthemen und Kompetenzen entwickelt
werden kann, können sich die SchülerInnen
in den Phasen selbstständigen Lernens ihr
individuelles Lernprogramm zusammenstel-
len. Was dabei über den Normalanspruch
hinausgeht, wird in der Regel mit dem Begriff
des Enrichment-Programms bezeichnet.
Die Zeitstrukturen
Für das vorgestellte Unterrichtskonzept
sind einige didaktisch-methodische Konse-
quenzen zu bedenken: Die 45-Minuten-Stun-
de ist keine hinreichende Zeiteinheit für
dieses Unterrichtskonzept. Es ist deshalb bei-
spielsweise sinnvoll, die vier Deutschstunden
einer Woche von vornherein als eine Einheit
zu planen. So kann die Zeit für Vermittlungs-
und Erarbeitungsphasen wie für Differenzie-
rungsphasen variabel eingeteilt werden.
Planungsstrukturen
Wenn mit dem Subjekt „LernerIn“ gerech-
net werden soll – und das ist hier die Prämisse
– gehören die Offenlegung der Lehrplanung,
die Besprechung der Arbeitsschritte, die Über-
sicht über das Materialangebot, die Planung
von individuellen oder Gruppenlernprogram-
men (Planungs- und Bilanzkonferenzen) zum
Konzept. Wenn Transparenz über Ansprüche
und Inhalte gegeben ist, können die Schüle-
rInnen auch immer wieder ihr Lernen in die
eigene Hand nehmen. Wenn sie hingegen
nicht wissen, um was es geht, können sie sich
zunächst nur passiv verhalten.
Buchführung über Lernprozesse
Das vielleicht schwierigste Thema bei
einem binnendifferenzierenden Unterrichts-
konzept ist die sogenannte Buchführung:
Wer steht wo? Wer kann was? Wer hat
wo massive Schwierigkeiten? Der Wechsel
von der reinen Unterrichtsdokumentation im
Klassenbuch hin zu umfassenderen Lernent-
wicklungsberichten, Lerntagebüchern, Port-
folios oder Ähnlichem ist schnell gefordert,
aber nicht so leicht zu realisieren. Wenn für
die einzelnen Fächer Kompetenzraster oder
Lernstandsbögen in ausreichendem Maß vor-
handen sind, wird diese Frage leichter zu
verfolgen sein.
Manfred Bönsch
Zum Weiterlesen
Manfred Bönsch:
Gemeinsam verschieden lernen
Cornelsen Verlag,
2012,
128 Seiten,
ISBN: 978-3589051823,
17,50 Euro
Ingvelde Scholz: Das heterogene
Klassenzimmer. Differenziert
unterrichten
Betrifft: Lehrerausbildung und
Schule (Ausgabe 9/2010):
Heterogenität
p us
Foto: istockphoto.com
Prof. Dr. Manfred Bönsch
Professor (em.) für Schulpäda-
gogik an der Leibniz-Universität
Hannover
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