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punktlandung 2012.1
Ö
konomisches Wissen und ökonomische Kom-
petenzen gehören seit langem zum Kern schu-
lischer Allgemeinbildung. Fächer wie Arbeitslehre/
Wirtschaft, Sozialwissenschaften oder Politik/Wirtschaft,
Aufgaben wie Berufsorientierung und Betriebspraktikum
sowie Praxiskontakte zu Unternehmen belegen dies.
Ö
konomische Lerninhalte expandierten im vergange-
nen Jahrzehnt in bisher ungekanntem Ausmaß. Andere
höchst bildungsrelevante Felder blieben ohne Pflichtfach
und fristen ein kümmerliches Dasein: Erziehung, Gesund-
heit, Psychologie, Recht oder Technik. Die Öffentlichkeits-
arbeit der Wirtschaftsverbände befeuert dagegen den
Glauben, (noch mehr) Wirtschaft sei das Wichtigste.
W
er ein separates Schulfach will, muss gleiches Recht für
alle gelten lassen. Das würde die Stundentafeln atomisie-
ren. Ein Integrationsfach wie Wirtschaft/Politik zerfiele in
sechs Kleinfächer: Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Recht,
Medien und Erziehung. Didaktisch macht diese Zerstücke-
lung keinen Sinn. Die Finanzkrise etwa zeigt, dass man Wirt-
schaft und Politik nur im Zusammenhang verstehen kann.
S
tatt der Forderung „Mehr Wirtschaft!“ nachzugeben,
brauchen wir
bessere
ökonomische Bildung. Es geht um
Qualität, nicht um Quantität. Prominente Vertreter der
Volkswirtschaftslehre räumen ein Versagen der eige-
nen Disziplin ein. Sie plädieren für eine interdisziplinä-
re, sozialwissenschaftlich, psychologisch und historisch
fundierte Wirtschaftswissenschaft. Eine entsprechende
ökonomische Bildung berücksichtigt beispielsweise auch
(Sozial-)Psychologie sowie Arbeits-, Konsum-, Wirtschafts-
soziologie.
D
agegen verkörpert ein Separatfach Wirtschaft die öko-
nomistische Hybris der Vorkrisenzeit. Es soll in disziplinä-
rer Isolation nur einen einzigen Denkansatz vermitteln.
Seine Protagonisten lehnen eine problemorientierte,
multidisziplinäre Wirtschaftslehre ab. Dieses Fachver-
ständnis entfernt sich von der Bezugswissenschaft
und
von den Bildungsbedürfnissen. Ein solches Pflichtfach
„Wirtschaft“ kann man nicht verantworten.
Prof. Dr. Reinhold Hedtke
Fakultät für Soziologie ( Arbeitsbereich:
Didaktik der Sozialwissenschaften und
Wirtschaftssoziologie ) an der Uni Bielefeld
S
chule soll auf das Leben vorbereiten – darin sind sich alle
einig. Doch gerade beim Thema Wirtschaft zeigt sich, wie
unterschiedlich Inhalte und Botschaften formuliert und be-
wertet werden. Müssen Beschäftigte ihre eigenen Interessen
den Unternehmenszielen ihres Arbeitgebers unterordnen?
Sind Gewerkschaften und Betriebsräte wichtige Institutio-
nen für einen fairen Interessenausgleich im Betrieb? Ist das
Betriebsverfassungsgesetz demokratisches Element für eine
gute betriebliche Zusammenarbeit oder Hindernis für erfolg-
reiches Wirtschaften? Fragen, die je nach politischem Inter-
esse unterschiedlich beantwortet werden können. Deshalb
ist es wichtig, ökonomische Fragestellungen immer auch im
politischen und sozialen Kontext zu betrachten. Das muss
ein guter Unterricht leisten.
S
eit geraumer Zeit fordern Arbeitgeber- und Wirtschaftsver-
bände ein eigenständiges Unterrichtsfach Wirtschaft. Aus
Sicht des DGB ist die damit einhergehende Vorstellung, die
wirtschaftliche Kompetenz von SchülerInnen zu stärken, zu
einseitig. Der DGB plädiert stattdessen für eine umfassende
sozioökonomische Bildung.
S
tatt eines eindimensionalen auf die Wirtschaftswissen-
schaft reduzierten Fachs brauchen SchülerInnen eine so-
zioökonomische Bildung, die auf Selbsterkenntnis, kritisch
reflektiertem Handeln und sozialer wie ökologischer Verant-
wortung basiert. Diese ist in Fächern wie Politik, Arbeitslehre,
Geschichte oder in entsprechenden Kombinationsfächern
verortet. Sie behandeln ökonomische Fragen in unterschied-
lichen Zusammenhängen und Einflüssen. Auch vor dem
Hintergrund voller Stundentafeln ist es nicht sinnvoll, neue
Einzelfächer zu konstruieren. Wer ein zusätzliches Fach Wirt-
Lernen von der
Volkswirtschaftslehre!
Sozioökonomische Bildung
statt eindimensionaler
Wirtschaftswissenschaft!
schaft fordert, muss auch sagen, auf Kosten welcher anderen
Fächer und Inhalte dieses gehen sollen.
D
er DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften stehen bil-
dungspolitisch für das Primat der Politik gegenüber der
Ökonomie. Das strukturelle Machtgefälle zwischen Unter-
nehmen und Wirtschaftsverbänden auf der einen und an-
deren Interessengruppen auf der anderen Seite darf im Feld
der ökonomischen Bildung nicht schlichtweg reproduziert
werden. Dafür machen sich der DGB und seine Mitgliedsge-
werkschaften in der
Initiative Schule und Arbeitswelt
stark.
Jeanette Klauza
Referatsleiterin in der Abteilung Bildungspolitik
und Bildungsarbeit beim DGB Bundesvorstand
pluspunkt
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