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nds 4-2012
Neue Bertelsmann-Studie
Inklusion kostet Geld!
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Die Schule der Vielfalt, zu der Inklusion führen soll, ist nicht zum Nulltarif zu
haben. Das hat die GEW immer betont. Jetzt hat sie prominente Unterstützung
erhalten. Der Bildungsökonom Klaus Klemm hat in einer Studie im Auftrag der
Bertelsmann-Stiftung festgestellt, dass Schulen in Deutschland für den ge-
meinsamen Unterricht aller Kinder rund 660 Millionen Euro im Jahr mehr
benötigen ohne die Baukosten für Barrierefreiheit und Therapieräume. Rund
10.000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer sind zudem nötig, um die rund
500.000 Kinder mit Behinderungen in die Regelschulen zu integrieren.
Fritz Junkers
nds-Redaktionsleiter
Richtigstellung nds 3/12
Die Berichterstattung über die GEW-
Fachtagung „Ziffernnoten – Anreiz oder Lei-
stungsbremse” in der nds 3/2012, Seite 8
ff., enthielt eine missverständliche Formulie-
rung, die wir sehr bedauern und deshalb
klarstellen möchten. Prof. Dr. Susanne
Thurn, Schulleiterin der Laborschule des
Landes NRW an der Universität Bielefeld,
setzte sich in ihrem Workshop klar von den
Vorstellungen über Leistung als „neolibera-
les Mantra der extrinsischen Motivation” ab.
Das kam im Text nicht deutlich genug zum
Ausdruck. Wir zitieren zur Richtigstellung
aus ihrem Thesenpapier:
u
„Die Menschen stärken – die Sachen klä-
ren“ (Hartmut von Hentig) ist Aufgabe von
Bildungsinstitutionen. Dieser Aufgabe ge-
recht zu werden und Verschiedenheit als
Reichtum zu nutzen, muss zu Individuali-
sierung des Lernens und des Lebens in der
Gemeinschaft führen.
u
Individualisierung setzt den Abschied von
zielgleichem Lernen in inhaltlichem und
zeitlichem Gleichschritt sowie verordneten
und genormten Prüfungen voraus.
u
Individualisiert lernen dürfen und genormt
getestet werden ist ein Widerspruch in sich
und erst recht gegenüber allen Bemühun-
gen um Inklusion.
u
Anstrengung lohnt sich, wenn Leistung
sichtbar gemacht, präsentiert und aufheb-
bar wird (ergebnis- und handlungsorien-
tiertes Arbeiten auf vereinbarte Ziele hin,
öffentliche Präsentationen, Portfolio, ...).
u
Individuelle Lern- und Leistungsvielfalt
muss individuell und vielfältig zurückge-
meldet werden: durch eigene Beurteilung,
fremde Rückmeldung, gemeinsame Reflek-
tion des Lernweges, bewusste Wertschät-
zung von Umwegen und Fehlern, erreich-
bare Anschlussziele, vereinbarte Lernwege.
u
Noten dagegen ermutigen selten, entmu-
tigen oft, sind aussageleer, orientieren sich
zwangsläufig am Mittelmaß gedachter
Normen, produzieren Rangordnungen und
dienen der Selektion von Menschen.
u
Staatliche Vergleichsvorgaben können sich
– wenn sie denn unbedingt sein sollen –
auf genormte Prüfungen beschrän
ken, die
auf der Basis von Minimalstandards als
Zertifikate zu individuellen Zeiten absol-
viert und dem eigenen Leistungsportfolio
beigelegt werden können. ...”
Red.
Was derzeit in den Kommunen unter dem
Deckmantel des freien Elternwillens abläuft,
schadet dem Inklusionsprozess, weil es die not-
wendige Akzeptanz erschwert (vgl. nds
2/2012, S. 10). Der Protest aus den Schulen
nimmt zu, weil sie ohne Unterstützung und
deutliche Ausweitung der Ressourcen mit der
Integration der Kinder mit Behinderungen
überfordert sind. Solange nicht ausreichend
sonderpädagogisch ausgebildete Lehrkräfte in
den Schulen zur Verfügung stehen, kann die
Entwicklung zur inklusiven Schule nicht fortge-
setzt werden, schon aus Verantwortung für die
Kinder.
Deshalb fordert die GEW den Ausbau der
Studienkapazitäten für das Lehramt Sonder-
pädagogik, damit eine durchgehende Doppel-
besetzung von Regel- und Förderschullehrkraft
möglich ist. Parallel dazu soll eine Qualifizie-
rungsoffensive unter Anrechnung auf die Un-
terrichtszeit die Lehrkräfte auf die integrativen
Lerngruppen vorbereiten.
Wenn die erforderlichen Rahmenbedingun-
gen nicht ermöglicht werden, wird die Inklu-
sion scheitern.
Fritz Junkers
So gewaltig die Summe auch erscheinen
mag, es sind noch nicht einmal zwei Prozent der
derzeitigen Gesamtausgaben für Schulen in
Deutschland, die als Mehraufwand auf die Län-
der zukommen. Drei Jahre nach Inkrafttreten
der UN-Behindertenkonvention ist Deutschland
jedoch noch weit entfernt von einer angemes-
senen Umsetzung der UN-Konvention.
Für NRW gibt das Ministerium für das
Schuljahr 2010/11 die Zahl der Schüler im
gemeinsamen Unterricht mit 22.757 an, das
sind lediglich 24,7 Prozent für Grundschulen
und 11,1 Prozent für Schulen der Sekundar-
stufe I. Damit liegt NRW unter dem Bundes-
durchschnitt. Demgegenüber werden in NRW
105.000 Kinder mit Behinderungen an mehr
als 700 Förderschulen unterrichtet. Wenn
sich daran etwas ändern soll, müssen deutlich
mehr Personal und Ressourcen aufgebracht
werden. Die Bereitschaft dazu ist bei den po-
litisch Verantwortlichen nicht zu spüren.
Die GEW in NRW kritisiert die Berechnung
des Lehrerbedarfs in der Studie von Klaus
Klemm, die zu vergleichsweise günstigen per-
sonellen Umbaukosten für NRW führt. Zudem
fordert die Vorsitzende der GEW NRW, Doro-
thea Schäfer: „Die erhebliche demografische
Rendite, von der wegen sinkenden Schüler-
zahlen die Rede ist, darf nicht nur für Inklusi-
on, sondern muss auch für andere, dringend
notwendige Verbesserungen in den Schulen
verwendet werden.“
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