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punktlandung 2012.1
Sozioökonomische Bildung –
aber wie?
Die Auseinandersetzung um ökonomische Bildung ist kein Konflikt zwischen Befürwortern
und Gegnern eines eigenständigen Unterrichtsfachs. Vielmehr stehen sich zwei unter-
schiedliche Leitbilder ökonomischer Bildung gegenüber – und gegensätzliche Interessen
der gesellschaftlichen Akteure.
S
oll ökonomische Bildung in die Denkschule der ökono-
mischen Verhaltenslehre sozialisieren? Oder soll sie unter-
schiedliche Zugänge nutzen, um Lernenden Orientierung
in der Wirtschaftswelt zu geben und sie zu befähigen, ihre
pluralen Interessen als WirtschaftsbürgerInnen einzubrin-
gen? Die folgenden Ausführungen plädieren für das zwei-
te Konzept, das als sozioökonomische Bildung begriffen
wird. Sie bieten gleichzeitig Anhaltspunkte für eine Didak-
tik der ökonomischen Bildung.
Ausgewogenheit
S
ozioökonomische Bildung sollte die unterschiedlichen
Interessen verschiedener wirtschaftlicher und gesell-
schaftlicher Akteure widerspiegeln. Unterricht muss in
ausgewogener Weise die Perspektiven von Arbeitneh-
mern wie Arbeitgebern, von Unternehmen, Gewerk-
schaften und Sozialverbände thematisieren. Wenn in
didaktischen Handreichungen und Entwürfen für Bil-
dungsstandards nur „unternehmerische Denkweisen”
erlernt werden sollen, ist das problematisch.
Kontroversität
D
as didaktische Gebot der Kontroversität, das seit dem
Beutelsbacher Konsens weitgehend unumstritten ist, hat
für die sozioökonomische Bildung uneingeschränkte Gül-
tigkeit. Für Lernende ist
es wichtig, sich mit
verschie-
denen Sichtweisen und Deutungsangeboten der wirt-
schaftlichen und gesellschaftlichen Realität auseinander-
setzen zu können.
Einflussnahme und Unabhängigkeit
A
us Sicht von Banken- und Wirtschaftsverbänden er-
scheint es legitim durch gezielte Maßnahmen die Ak-
zeptanz des marktwirtschaftlichen Systems bzw. von
Unternehmerinteressen zu erhöhen. Viele Akteure stellen
ihre politischen Absichten ganz offen dar. Natürlich ist
es nicht verboten, dass Interessenverbände ihre Sicht auf
die Gesellschaft in Bildungsmedien verbreiten. Allerdings
sollte die allgemeinbildende Schule nicht zum Kampf-
platz von Lobbyisten werden. FachdidaktikerInnen sollten
zur Versachlichung dieser parteilichen, konfligierenden
Bildungszugänge beitragen und verhindern, dass wirt-
schaftliche Interessenverbände ihre Partialinteressen in
Form von Schulcurricula allgemein verbindlich machen.
Reflexion der Marktwirtschaft
D
as Verständnis der sozialen Marktwirtschaft ist zweifel-
los ein wichtiges Ziel sozioökonomischer Bildung. Eine der
Urteilsfähigkeit verpflichtete sozioökonomische Bildung
muss aber auch den Wirtschaftsrahmen selbst in den Blick
nehmen, alternative Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme
thematisieren und Kriterien zu deren Beurteilung liefern.
Erst die Auseinandersetzung mit Alternativen ermöglicht
eine Einordnung des marktwirtschaftlichen Ansatzes und
eine kritische Distanz.
D
azu gehört einerseits die Perspektive der Kapitalismus-
kritik, andererseits die Erörterung der Vor- und Nachteile
alternativer Modelle des Wirtschaftens und damit zusam-
menhängend die Frage: Ist die Durchökonomisierung der
Gesellschaft in dem Maße wünschenswert und unvermeid-
lich, wie sie im öffentlichen Diskurs häufig dargestellt wird?
Mündigkeit als Ziel
E
in mehr an ökonomischer Bildung ist sinnvoll, wenn
darin allgemeinbildende wirtschaftliche und wirtschafts-
politische Inhalte und Konzepte erschlossen werden, die
Lernende auf ihr künftiges Leben vorbereiten und ihnen
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