nds 4-2012
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BVG zur Professorenbesoldung
Wegweisendes Urteil
In der Urteilsbegründung stellen die Verfas-
sungsrichter zunächst fest, dass die im Grund-
gesetz verankerte Wissenschaftsfreiheit „for-
dert, dass in der Hochschule freie Wissenschaft
möglich ist und ungefährdet betrieben werden
kann.“ Insofern diene sie „dem Schutz vor wis-
senschaftsinadäquaten Entscheidungen“. Auf
die Besoldung angewandt hieße das: Die leis-
tungsorientiert vergebenen Mittel müssten „für
jeden Amtsträger zugänglich und hinreichend
verstetigt“ sein; sie dürften nicht aus einem be-
grenzten Budget stammen, um das Kollegin-
nen und Kollegen konkurrieren, sodass gege-
benenfalls „für die ‚zu spät gekommenen‘ Pro-
fessoren (…) allenfalls niedrig bemessene
Leistungsbezüge in Betracht (kommen), ohne
dass dies von der individuellen Leistung des
Professors abhängig oder von ihm in irgend-
einer Weise beeinflussbar wäre.“
Im Zweifel für die
Wissenschaftsfreiheit
Eine Interpretationsmöglichkeit ist: Die Wis-
senschaftsfreiheit verbietet Konkurrenz um Mit-
tel und erfordert stattdessen Planbarkeit und
Kontinuität. Das wäre ein Schlag ins Gesicht all
der Marktapologeten, die in den letzten Jahren
den Umbau zur „unternehmerischen Hochschu-
le“ propagiert haben – und es wäre eine Her-
ausforderung für diejenigen, die auch jetzt
noch nicht mit dieser Ausrichtung brechen wol-
len und weiter an Globalhaushalten, Drittmit-
telorientierung, Rankings usw. festhalten.
Mit seinem Urteil belebt das BVG auch ei-
ne wichtige Errungenschaft neu: den Schutz
der Wissenschaftsfreiheit durch das Grundge-
setz. Dieser – in seiner Wichtigkeit kaum zu
unterschätzend, wie die Vergangenheit ge-
zeigt hat – soll die Indienstnahme der Hoch-
schulen für Einzelinteressen und menschen-
feindliche Ideologien verhindern helfen.
Wie frei ist die „unternehmerische
Hochschule”?
Der Umbau der Hochschulen zu „unter-
nehmerischen Hochschulen” verdrängt den
Streit um Wahrheit und Richtung, um Falsch
und Richtig durch das Recht des Stärkeren
bzw. Angepassteren im Wettstreit um den Er-
folg. Konkurrenz zielt naturgemäß darauf, An-
forderungen durchzusetzen und zu erfüllen
und Widerspruch zu nivellieren. Um die Hoch-
schulen systematisch für Partikularinteressen
nutzbar zu machen, sollen an die Stelle von
demokratischen Strukturen „effektive Füh-
rungsstrukturen“ gesetzt werden. Diese Aus-
richtung ist offensichtlich nicht unstrittig.
Stefan Brackertz
nds-Redaktionsmitglied und
Mitglied im Landesausschuss
der Studierenden GEW NRW
In der Berichterstattung über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG)
zur W-Besoldung der ProfessorInnen ist zu lesen, dass das Gericht leistungsori-
entierte Besoldung nicht prinzipiell ausschließt. Insbesondere im Hinblick auf
die – unabhängig von der Landtagswahl am 13. Mai – anstehende Novellierung
des Hochschulgesetzes in NRW lohnt es sich, genauer hinzusehen, welche Kri-
terien dafür ausschlaggebend waren, ob eine leistungsorientierte Besoldung
verfassungskonform ist oder nicht.
Nicht nur weil sich die Widersprüche zu-
spitzen, sondern allein schon deshalb, weil
die alleinige Ausrichtung auf einseitige Inter-
essen ungerecht und unproduktiv ist und zu
doppelter Arbeit, Ellenbogenmentalität, In-
transparenz und Bluff führen, wäre eine Kurs-
korrektur vonnöten.
Die Alternativen sind noch unterent-
wickelt. Vielleicht wäre „sozial, demokratisch
und zivil“ statt „unternehmerisch“ ein An-
fang.
Stefan Brackertz
p us
„Eine Krise besteht darin, dass das Alte
stirbt und das Neue nicht geboren wer-
den kann.“
(Antonio Gramsci)
Das Urteil
W 2-Besoldung der
Professoren in Hessen ist
verfassungswidrig
In der Pressemitteilung Nr. 8/2012
zum
–
Az.: 2 BvL 4/10 – heißt es u.a.:
„ (...) Der Zweite Senat des Bundesver-
fassungsgerichts hat mit seinem Urteil vom
14. Februar 2012 entschieden, dass die Be-
soldung der Professoren in Hessen aus der
Besoldungsgruppe W 2 gegen das Alimen-
tationsprinzip des Art. 33 Abs. 5 GG ver-
stößt und daher verfassungswidrig ist. Der
Gesetzgeber hat verfassungskonforme Re-
gelungen mit Wirkung spätestens vom
1. Januar 2013 zu treffen. (...)
Die W 2-Besoldung der Professoren in
Hessen entspricht in ihrer Gesamtkonzep-
tion nicht den Anforderungen, die das Ali-
mentationsprinzip an eine amtsangemes-
sene Alimentierung des betroffenen Perso-
nenkreises stellt. Die gewährte Besoldung
ist evident unzureichend. Das durch die
Grundgehaltssätze entstandene Alimen-
tationsdefizit wird durch die Leis-
tungsbezüge in ihrer bisherigen Ausge-
staltung nicht kompensiert. (...)”
Damit ist die Struktur der Reform der
Professorenbesoldung von 2002 in Frage
gestellt. Der hessische Gesetzgeber hat
nun bis zum 31. Dezember 2012 Zeit, das
System zu ändern.
Das Urteil wird sich nicht nur auf Hes-
sen auswirken. Nach Paragraf 31 Abs. 1
des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
bindet eine Entscheidung des BVG Bund
und Länder gleichermaßen.
Bra
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