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Hin- und hergerissen zwischen der Fest-
stellung, dass es nach einem Acht-Stunden-
Tag zu viel ist, noch drei Arbeitsstunden am
Schreibtisch zu verbringen und dem Genuss
der langen Ferien habe ich mich vor einem
Jahr entschlossen, meine tatsächlichen Ar-
beitszeiten genau zu protokollieren.
Arbeitszeit – was ist das eigentlich?
Eine volle Stelle mit 25,5 Stunden am Gym-
nasium bringt sehr unterschiedliche Arbeits-
tage mit sich. Wie sollte ich mir meine genaue
Arbeitszeit also aufschreiben? Klar, dass das
Mittagessen mit den KollegInnen und das
Privatgespräch mit einer netten Mutter keine
Arbeitszeit sind. Und sicher ist es bei vielen
Berufen so, dass Tätigkeiten in den Freizeitbe-
reich ausgelagert werden. Das Blättern in der
Gewerkschaftszeitschrift kann sich schließlich
auch kein Ingenieur als Arbeitszeit anrech-
nen, so wenig wie meine Schwägerin mir ihre
Gesundheitstipps als ärztliches Beratungs-
gespräch in Rechnung stellt. Aber wenn ich
meine selbst erstellten Arbeitsblätter kopiere,
pädagogische Gespräche mit einzelnen Schü-
lerInnen und Eltern führe oder – anstatt in
mein Pausenbrot zu beißen – Absprachen für
eine Klassenarbeit treffe, ist das Arbeitszeit.
Die nackten Zahlen
In vielen Schulwochen arbeitete ich unge-
fähr 50 Stunden, es gab aber auch Wochen,
in denen ich mindestens 60 Stunden reine
Arbeitszeit zu verzeichnen hatte. Die meisten
Ferienwochen zeichnen sich im Gegenzug
dadurch aus, dass ich unter der
gewohnten Wochenarbeitszeit lag.
Auf diese Weise kamen für den Zeit-
raum vom 1. September 2012 bis
zum 31. August 2013 knapp 2.000
Zeitstunden Arbeit zusammen. Weil
ich manchmal die Wochenenden re-
gelrecht durchgearbeitet hatte, aber
dafür längere Ferien als andere Ar-
beitnehmerInnen habe, blieb noch die
Frage, ob diese beiden Faktoren sich die
Waage halten.
Auswertung mit Rechenbeispiel
In NRW gab es im gleichen Zeitraum
für ArbeitnehmerInnen mit einer Fünf-Ta-
ge-Woche 249 Arbeitstage. Berücksichtigt
man die 28 Tage Erholungsurlaub, die Ar-
beitnehmerInnen in der Regel zustehen,
und die Tatsache, dass ich mich an vier
Tagen krankmelden musste, ergeben sich 217
Arbeitstage, auf die meine Arbeitszeit sich
hätte verteilen müssen – gemessen an den re-
gulären Arbeitszeiten für ArbeitnehmerInnen.
Demnach hätte ich durchschnittlich etwas
über neun Stunden reine Arbeitszeit pro Tag ge-
habt. Erst wenn man die 28 Urlaubstage heraus-
rechnet, die allen ArbeitnehmerInnen zustehen,
erhält man annähernd einen Acht-Stunden-Tag.
Rein rechnerisch hätte ich im letzten Jahr also
entweder täglich rund eine Überstunde gelei-
stet oder keinen Erholungsurlaub gehabt.
Gute Arbeit braucht Zeit
Wenn mich also das nächste Mal jemand
halb neidisch, halb moralisierend mit dem
Vorurteil konfrontiert, LehrerInnen hätten
ständig und lange Ferien, werde ich eines
sicher nicht mehr haben: ein schlechtes Gewis-
sen. Ich selbst wünsche mir oft regelmäßigere
Arbeitszeiten. Auch während stressiger Pha-
sen des Schulalltages sollte schließlich noch
Zeit für die SchülerInnen, für ihre spontanen
Fragen und Probleme sein.
Sandra van Oringen
Lehrerarbeitszeit im Selbstversuch
Haben LehrerInnen Ferien?
Bis spät in die Nacht korrigieren, Elterngespräche dazwischenschieben, verwal-
ten, kopieren, E-Mails schreiben und scheinbar nebenbei und doch ganz zentral:
unterrichten. Schüler unterrichten. Sie sind es, warum ich mich für diesen Beruf
entschieden habe und die mit ihrer ganzen Persönlichkeit und ihren individu-
ellen Stärken und Schwächen im Zentrum meiner Arbeit stehen sollten.
Trotz gelegentlichen Ärgers über zu viele, niemals enden wollende
Aufgaben liebe ich meinen Beruf. Aber immer wieder nagte ein
schlechtes Gewissen an mir – genährt durch ein altbekanntes Vorur-
teil: LehrerInnen haben zu viele Ferien.
Sandra van Oringen
(Pseudonym)
Bundesprogrammlehrkraft
an einer Deutschen Auslandsschule
30
arbeitsplatz
reguläre Arbeitszeit*
reguläre Arbeitszeit
(brutto)
×
249
8
Tage
Stunden
=
1.992 Stunden
reguläre Arbeitszeit
(netto)
×
217
8
Tage
Stunden
=
1.736 Stunden
Foto: istockphoto.com
tatsächliche Arbeitszeit
gemessene Arbeitszeit
1.979,5 Stunden
Mehrarbeit
÷
264
8
Stunden
Stunden
=
33 Tage
durchschnittliche
Arbeitsdauer pro Tag
9,1 Stunden
*ausgehend von einer Fünf-Tage-Woche
mit acht Arbeitsstunden pro Tag
1...,20,21,22,23,24,25,26,27,28,29 31,32,33,34,35,36,37,38,39,...40
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