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Thema
„Welche Spiele werden gerne von Mäd-
chen, welche häufig von Jungen gespielt?
Welche dieser Spiele haben etwas mit den
späteren Aufgaben von Frauen und Männern
zu tun?“
1
Schulbücher prägen nicht nur den
Unterrichtsalltag, sie unterliegen auch recht-
lich dem Auftrag der Gleichstellung und An-
tidiskriminierung. Geschlechterkonstruktionen
und die Darstellung von Lesben, Schwulen,
Bisexuellen, Trans* und Inter* sind somit ein
Politikum. Wie das Eingangszitat aus einem
2008 publizierten Biologiebuch zeigt, sind
Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt noch
keine selbstverständlichen Qualitätsstandards
in Schulbüchern.
Viele Stereotypen, wenige Ausnahmen
So ist „Vanessa“ (s. Illustration
2
) in allen
elf untersuchten Lehrbüchern für Englisch
die einzige Person, deren Aussehen sich den
Geschlechternormen widersetzt: alle anderen
Mädchen tragen beispielsweise lange, alle
Jungen kurze Haare. Während in älteren
Schulbuchanalysen eine Unterrepräsentation
von weiblichen Personen festgestellt wurde,
gilt das für die quantitative Untersuchung
der untersuchten Englischbücher nicht. Hier
scheint mittlerweile ein Bewusstsein für die
normative Wirkung von Schulbüchern zu be-
stehen. Leider ist dies in Bezug auf geschlech-
Studie zu Gleichstellung in Schulbüchern
Auftrag nicht erfüllt
tergerechte Sprache noch nicht zu vermerken.
Sie wird allenfalls punktuell eingesetzt, das
generische Maskulinum dominiert.
Die Forschungsergebnisse zu Geschlechter-
stereotypen fielen bei Englisch- und Biologie-
büchern sehr ambivalent aus: Manchmal sind
es ausschließlich Jungen, die Fußball spielen
oder masturbieren, manchmal schält auch
der Vater Kartoffeln oder Klischees werden
eindeutig benannt und hinterfragt.
Fehlende Vielfalt ist realitätsfern
Lesbische oder schwule Menschen gibt
es in der Welt der Englischbücher nicht.
Und auch in den untersuchten Kapiteln zur
Sexualerziehung in Biologiebüchern werden
Homo- und Bisexualität nicht immer thema-
tisiert. Die Diskriminierung von Lesben und
Schwulen wird kulturalisiert oder als Relikt
der Vergangenheit dargestellt. So zum Be-
griff „schwul“: „Ursprünglich ein Schimpfwort
für männliche Homosexuelle. Homosexuelle
Männer benutzen den Begriff heute zur offizi-
ellen Kennzeichnung ihrer Sexualität.“
3
Diese
Definition ist angesichts der in Schulen häu-
figen Benutzung von „schwul“ als abwertende
Bezeichnung doch zu euphemistisch. Hetero-
sexualität ist die weitgehend unhinterfragte
Norm, die sich auch implizit äußert, wenn
Pubertät schlicht als die Zeit, in der das In-
teresse am sogenannten anderen Geschlecht
erwacht, erklärt wird.
In den untersuchten Schulbüchern wird –
mit einer Ausnahme – auch ignoriert, dass
es Inter* (Menschen, deren Körper nicht der
Norm der Zweigeschlechtlichkeit entsprechen)
oder Trans* (Menschen, die sich nicht mit
dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei
der Geburt zugewiesen) gibt.
Geschlechterkonstruktionen und die Darstellung von Lesben, Schwulen, Bise-
xuellen, Trans* und Inter* (LSBTI) im Unterricht sind wichtige bildungs- und
gleichstellungspolitische Themen. Es geht um wertschätzende und gleiche Le-
bens- und Lernbedingungen für alle SchülerInnen, auch für LSBTI. Es geht um
einen diskriminierungsfreien Schulalltag, um eine angemessene Bearbeitung
dieser Themen. Wie stellen Schulbücher die Vielfalt von Geschlecht und sexu-
eller Orientierung dar? Welche Normen hinsichtlich Gender vermitteln sie? Wie
groß der Entwicklungsbedarf in Sachen Gleichstellung ist, zeigt eine exempla-
rische Analyse von Schulbüchern für Englisch, Biologie und Geschichte.
Für die Umsetzung geschlechtergerechter
Bildung müssen Ministerien und Schulbuch-
verlage ihre Verantwortung für Schulbücher
wahrnehmen und LehrerInnen und Schullei-
tungen ihre Gestaltungsmacht nutzen.
Melanie Bittner
Quellen:
1 Jütte, Kähler: Biologie heute entdecken 1,
2008, S. 259
2 Illustration: Ulf Marckwort, aus Edelhoff
(Hg.): Notting Hill Gate 1. Braunschweig:
Diesterweg 2007.
3 Bergau u.a.: Prisma Biologie 7/8, 2011, S. 61
* (*) wird in dieser Studie als Platzhalter
verwendet, denn „Inter*“ und „Trans*“
als Substantiv bzw. „inter*“ und „trans*“
als Adjektiv sind lediglich Oberbegriffe und
umfassen jeweils unterschiedliche Formen
und Bezeichnungen.
Melanie Bittner
Erziehungswissenschaftlerin
und Trainerin für Gender,
Diversity und Antidiskrimi-
nierungskultur
'Ve
Melanie Bittner (2012): Geschlech-
terkonstruktionen und die Darstel-
lung von Lesben, Schwulen, Bisexu-
ellen, Trans* und Inter* (LSBTI) in
Schulbüchern. Eine gleichstellungs-
orientierte Analyse im Auftrag der
Max-Traeger-Stiftung.
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