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nds 2-2014
Arbeitsalltag im Montessori Kinderhaus in Düsseldorf
Spagat zwischen Groß und Klein
Mittwochmorgen, 8.00 Uhr. Weißer Nebel
hängt über dem Kinderhaus im Düsseldorfer
Stadtteil Urdenbach. Es ist Ankunftszeit. Die
Tür zum Raum der Grünen Gruppe geht auf.
Ella stürzt hinein, läuft fröhlich auf Erzieherin
Karina Klaus zu und schüttelt ihr die Hand.
„Duuu, Frau Klaus, das Ei hat jetzt einen rich-
tigen Knacks.“ „Ach was, wirklich?“ Geduldig
lauscht die 27-Jährige der Geschichte vom Di-
no-Ei, dessen Bewohner kurz vorm Schlüpfen
ist. „Das musst du gleich in der großen Runde
erzählen.“ Seit 7.30 Uhr begrüßt die Erzieherin
ihre eintreffenden Schützlinge, ein neunstün-
diger Arbeitstag liegt vor ihr.
Selbstständigkeit ist Prämisse
Während sie Ella zuhört, schmiegt sich die
kleine Pippa an ihren Schoß. Am selben Tisch
sitzt der dreijährige Oskar, der zwischendurch
Hilfe bei seinem Spiel braucht. Mia hat ein In-
dianerbild gemalt. Sebastian erzählt, dass er
an Karneval als Ninja geht. Luis brüllt, er will
bei seiner Mama bleiben. Rosalie und Anton
schauen sich mit Erzieherin Stefanie Meier*
auf dem blauen Sofa das Bilderbuch „Ich bin
schon groß“ an. In der gruppeneigenen Küche
frühstücken vier Knirpse. Den Tisch dafür ha-
ben sie selbst gedeckt und später räumen die
Letzten Teller und Tassen in die Spülmaschine.
Erziehung zur Selbständigkeit ist im Montes-
sori Kinderhaus wichtig.
Im Kita-Alltag stehen ErzieherInnen
täglich vor der Herausforderung, den
unterschiedlichsten Bedürfnissen ih-
rer Kinder gerecht zu werden. Gerade
in altersgemischten Gruppen sind die
Anforderungen hoch. Ein Vormittag
in der Familiengruppe des Montessori
Kinderhauses in Düsseldorf.
17 Knirpse, 17 Bedürfnisse
Ohne Multitasking geht hier nichts, das
zeigen die Anekdoten aus dem prallgefüllten
Alltag der Familiengruppe, die dieses Jahr ihr
zehnjähriges Jubiläum feiert. 17 Kinder im Al-
ter von anderthalb bis sechs Jahren kommen
in die Grüne Gruppe. Alle über Mittag, viele bis
16.30 Uhr. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen
steht Karina Klaus täglich vor der Aufgabe,
den Bedürfnissen aller gerecht zu werden. Seit
die Erzieherin 2009 die Gruppenleitung über-
nommen hat, ist ihre To-do-Liste ellenlang:
Sprachförderung, Vorlesen, zum Spiel anregen,
Schlafbegleitung, dazu Teamsitzungen, Eltern-
gespräche und Entwicklungsberichte. Nicht so
einfach, alles unter einen Hut zu bekommen.
Lernen mit D-I-N-O
Der Kita-Alltag ist anstrengend. Um den
Spagat zwischen den Bedürfnissen der Älteren
und der Jüngeren zu schaffen, spricht sich das
Team mehr ab, als es das in einer Ü3-Gruppe
tun müsste. „Die kleineren Kinder sind un-
berechenbarer in ihrem Tun als die Drei- bis
Sechsjährigen. Mal eben zur Toilette, das geht
nicht – wir müssen ständig präsent sein“, so
Karina Klaus. Doch die Grätsche gelingt ganz
gut: Die Atmosphäre ist ziemlich entspannt
und der Geräuschpegel gering. „Wir achten
sehr darauf, dass es nicht zu laut wird – das ist
für alle angenehmer.“ Es liegt wohl auch an
ihr und ihren Kolleginnen: Alle wirken ausge-
glichen, sprechen mit ruhigen Stimmen.
WüPro, ein Sprachlernprogramm für die
Vorschulkids, steht an. „Kennt ihr noch die
Geschichte vom Kobold, der nur in Silben spre-
chen kann?“ Fragend schaut Karina Klaus in
die Runde. „Jaaaa.“ „Also, welches Wort ist
das? D-I-N-O?“ „Dino“, tönt es einstimmig.
Lerneffekt auf beiden Seiten
Karina Klaus ist stolz auf das gute Zusam-
menwirken: „Die Kinder in unserer Gruppe
profitieren sehr voneinander: Die Kleinen ler-
nen viel von den Großen und entwickeln früh
sprachliche und soziale Kompetenzen. Und
die älteren Kinder gewinnen sehr viel Selbst-
bewusstsein.“ Gerade erzählt Ella allen, was es
mit dem Knacks in dem Dino-Ei auf sich hat.
Die Kleineren finden das nicht so spannend
und fangen an, durch den Kreis zu toben.
„Und was wollen wir heute singen?“ Lä-
chelnd schaut Karina Klaus in die Runde.
„Hoch am Himmel“ gellt es aus einigen Kin-
derkehlen und flugs verwandeln sie sich in
laufende Esel und blökende Schäfchen. Das
finden auch die Jüngsten super. Als die Kin-
dertiere zu wild werden, klatscht Karina Klaus
in die Hände. „Auf geht’s, wir gehen raus.“
Ein Moment zum Durchatmen
Während die Praktikantin im Gruppenraum
die Tische für das Mittagessen deckt, haben
Karina Klaus und ihre Kolleginnen einen Mo-
ment, um sich auszutauschen. Dass solche Au-
genblicke im Alltag von ErzieherInnen selten
sind, ist an vielen Stellen der öffentlichen Mei-
nung noch nicht angekommen. Karina Klaus
ärgert das: „Viele meinen tatsächlich, dass
unsere Arbeit und die Kleinkindererziehung
nur Gedöns sei. Da muss dringend ein Um-
denken stattfinden. Natürlich gibt es auch bei
uns Dinge, die ich verbessern möchte, aber im
Großen und Ganzen stimmt es. Ich freue mich
jeden Tag auf die Arbeit mit den Kindern.“
Mittwochmittag, 12.00 Uhr: Die Winter-
sonne steht hoch über dem Kinderhaus. Der
Duft von Hackfleischbällchen und Kartoffeln
zieht nach draußen. Der Moment ist vorüber,
der Kita-Alltag geht weiter. Es ist Zeit für das
Mittagessen.
Denise Heidenreich
p us
BILDUNGSMACHER: ausführ-
liche Reportage online
Denise Heidenreich
Freie Journalistin
Foto: birgitH /pixelio.de
*Name von der Redaktion geändert
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