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nds 2-2014
nds: Seit zwei Jahren nehmen Sie in Ihrer
Gruppe auch U3-Kinder auf. Wie hat sich die
Betreuung dadurch verändert?
Barbara Cramer:
Sie ist intensiver geworden. Ich
muss auf unterschiedliche Bedürfnisse eingehen
und flexibler reagieren. Und Aufgaben wie das
Wickeln, Füttern und Tragen sind mehr geworden.
Insgesamt bin ich stärker gefordert. Ich denke
aber, das liegt nicht nur an den U3-Kindern. Die
Ansprüche an uns ErzieherInnen sind generell
gestiegen, so erwarten beispielsweise die Eltern
mehr von uns, da die Kinder mehr Zeit in der Kita
verbringen als vor zehn Jahren. Da ist es nicht
immer leicht, alles unter einen Hut zu bekommen.
Besonders intensiv war die Anfangsphase, als die
Kleinen neu hinzukamen: Da stand ich vor der Auf-
gabe, die Großen zu fördern und bei den Jüngeren
das Kuschelbedürfnis zu befriedigen – ein stän-
diger Spagat. Ich habe viel darüber nachgedacht,
wie ich allen Kindern gerecht werden kann und ha-
be nach einer Lösung für dieses Problem gesucht.
Und haben Sie eine Lösung gefunden?
Ja, für mich war eine Fortbildung der Schlüssel,
die mir eine andere Sicht der Dinge vermittelt
hat. Dort habe ich viel über die frühkindliche
Entwicklung gelernt – zum Beispiel, dass die
Kleinen einen stärkeren Bewegungsdrang ha-
ben. Es ging auch darum, dass wir uns als Team
mehr absprechen und bestimmte Rahmenbedin-
gungen schaffen müssen. So haben die jüngeren
und die älteren Kinder jetzt eigene Bereiche
oder wir trennen die Gruppe bewusst, um den
verschiedenen Bedürfnissen Raum zu geben.
Dass man solche Möglichkeiten schaffen kann,
setzt natürlich gewisse räumliche Gegebenheiten
voraus. Meine Gruppe hat eine Etage für sich,
das erweist sich jetzt als großer Glücksfall. Durch
eine andere Gruppenzusammensetzung kann die
Arbeit sicher auch deutlich belastender werden.
Was würden Sie beim U3-Ausbau verbessern?
Drei Dinge. Erstens muss sich der Personalschlüs-
sel ändern: Zu zweit ist es schon knapp. Gerade
mit der Übermittagsbetreuung ist man von
morgens bis nachmittags auf den Beinen. Wenn
dann noch Krankheit und Urlaub hinzukommen,
freut man sich schon über eine Viertelstunde
Pause. Früher konnte man sich zwischendurch
austauschen, heute muss die Teambesprechung
außerhalb der Dienstzeiten stattfinden. Zweitens
die Räumlichkeiten: Es ist wichtig, dass genug
Platz da ist. Und drittens: eine angemessene
Bezahlung. Wenn man überlegt, welche Verant-
wortung ErzieherInnen haben, ist das Gehalt
– und damit auch die Wertschätzung – zu gering.
Barbara Cramer
58 Jahre
AWO-Familienzentrum
Sonnenschein in Wer-
dohl mit 23 Kindern
von zwei bis sechs
Jahren
Über die Studie
Das Forschungs-
projekt „Struk-
turqualität und
ErzieherInnenge-
sundheit in Kin-
dertageseinrich-
tungen“ (STEGE)
hat von Oktober
2010 bis Dezem-
ber 2012 untersucht, wie die strukturellen
Rahmenbedingungen mit der Gesundheit
von ErzieherInnen zusammenhängen. Neben
der Erhebung repräsentativer Daten für die
nordrhein-westfälische Kita-Landschaft entwi-
ckelte die Studie konkrete Vorschläge für
Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und
Prävention. Das Projekt ist angesiedelt an der
Alice Salomon Hochschule in Berlin und wird
gefördert durch die Unfallkasse NRW und die
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung. Jede
zehnte Kita in NRW nahm an der Untersu-
chung teil, befragt wurden über 2.500 Fach-
und Leitungskräfte. Sie beantworteten Fragen
zu ihrer Qualifikation, zu den Rahmenbedin-
gungen ihrer Arbeit, zum Personalschlüssel,
zu Teamzusammensetzung und Teamarbeit.
Sie machten Angaben zu belastenden und
unterstützenden Aspekten ihres Arbeitsalltags,
zu ihrer Gesundheit, ihrer beruflichen Zufrie-
denheit und zu Ausgleichsmöglichkeiten in
ihrer Freizeit.
zu anderen Beschäftigten des öffentlichen
Dienstes sind ErzieherInnen überdurchschnitt-
lich oft krank. Infekte, Rückenschmerzen so-
wie psychische Belastungen führen zu ho-
hen Ausfallzeiten des Personals in Kitas.
Die ErzieherInnen klagen über mangelnde
gesellschaftliche Anerkennung, die sich in zu
niedriger Bezahlung und geringen Aufstiegs-
chancen äußert. Viele steigen vorzeitig aus ih-
rem Beruf aus. Dies ergab eine Regionalstudie
des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung.
STEGE will Gesundheit sichern
Vor diesem Hintergrund hat die Alice Sa-
lomon Hochschule in Berlin im Auftrag der
Unfallkasse Nordrhein-Westfalen (UK NRW)
und mit Förderung der Deutschen Gesetz-
lichen Unfallversicherung (DGUV) von 2010
bis 2012 die STEGE-Studie durchgeführt.
Ein Teil der KollegInnen stehe vor dem
Burn-out, so Dr. Heinz Hundeloh, Leiter des Be-
reichs Bildungseinrichtungen der UK NRW. Für
die übrigen KollegInnen im Dienst bedeute
dies, dass sie nicht krank werden dürfen. Diese
untragbare Situation sei der Anlass für die Stu-
die gewesen, denn die ErzieherInnen seien der
Schlüssel zu guter frühkindlicher Bildung. Der
gesetzliche Auftrag der Unfallkasse besteht
darin, die Gesundheit aller Betroffenen zu si-
chern. Noch vor fünf bis sechs Jahren betrafen
die Gesundheitsmaßnahmen ausschließlich
die Kinder. Für die Beschäftigten hingegen
fehlten damals die entsprechenden Daten.
Um diese Lücke zu schließen, wurde das For-
schungsprojekt STEGE in Auftrag gegeben.
Die Zusammenhänge zwischen Rahmenbedin-
gungen in den Kitas und Gesundheit von Erzie-
herInnen wurden somit erstmals systematisch
untersucht. Die Ergebnisse wurden am 12.
November 2013 in der nordrhein-westfälischen
Landesvertretung in Berlin vorgestellt.
Ergebnisse und Lösungsansätze
Ein wichtiges Ergebnis der Studie: Erziehe-
rInnen fühlen sich – je nach Ausbildung und
beruflicher Kompetenz – überfordert. Umge-
kehrt stellte sich heraus, dass berufliche Kom-
petenz neben Selbstwirksamkeit und Identifi-
kation mit dem Beruf als stärkste Ressource
erlebt wird.
Die Anforderungen sind vielfältig und kom-
plex. Es bleibt zu wenig Zeit für die Arbeit mit
dem Kind und die ErzieherInnen leiden beson-
ders unter Zeitdruck. Lärm geben 90 Prozent
aller Befragten als ständige und starke Belas-
tung an. Schlechte Ausstattung der Räume,
fehlende erwachsenengerechte Stühle und
Tische, das Heben und Tragen von Kindern
werden gleichfalls als körperlich anstrengend
empfunden.
Wie lässt sich Gesundheit am Arbeitsplatz
Kita konkret fördern? Die STEGE-Projektleite-
rinnen Susanne Viernickel und Anja Voss emp-
fehlen neben einem betrieblichen Gesund-
heitsmanagement vor allem verstärkte Inves-
titionen in die Verbesserung der strukturellen
Rahmenbedingungen: „Eine besondere Er-
kenntnis liegt darin, dass dieselben Faktoren,
die in der Diskussion um die pädagogische
Qualität von Kindertageseinrichtungen als
Schlüssel oder Hemmnisse für gute Bildung,
Erziehung und Betreuung identifiziert wurden,
auch für die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit
der pädagogischen Fach- und Leitungskräfte
von hoher Relevanz sind.“
Um allen Kindern bestmögliche Startmög-
lichkeiten in ein gelingendes Leben zu bieten,
ist die Betreuungsqualität entscheidend. Von
den Empfehlungen der EU und der OECD für
den Betreuungsschlüssel sind Deutschland
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