15
nds 7/8-2013
Koalitionsaussage meets Berufsbildungsbericht
Von vorgestern
Wenn das mal keine klare Ansage war im
Koalitionsvertrag zwischen SPD und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN nach der Landtagswahl 2012.
Es ist also Zeit für eine Analyse der tatsäch-
lichen Situation. Ein Jahr nach Abschluss des
Vertrags kann der dokumentierte Anspruch der
Koalitionäre mit der nordrhein-westfälischen
Wirklichkeit verglichen werden – zugrunde ge-
legt: die aktuellen Zahlen aus dem neuen
Berufsbildungsbericht 2013.
Ausbildungsbereitschaft geht zurück
Zunächst: Verbindliche Zusagen der Wirt-
schaft sind natürlich ausgeblieben. Die Wirt-
schaftsverbände sind weit davon entfernt,
einen Durchgriff auf die Erhöhung der Ausbil-
dungsbereitschaft ihrer Mitgliedsbetriebe zu
haben. Im Gegenteil: Die Zahl der Betriebe,
die sich an der Berufsausbildung beteiligen,
ist in den vergangenen Jahren zurückgegan-
gen. Nach dem Betriebspanel des Instituts
für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
bilden in NRW nur 34 Prozent der Betriebe
aus. Rechnet man die Betriebe heraus, die
keine Ausbildungsberechtigung haben, bilden
in NRW nur 56 Prozent der ausbildungsbe-
rechtigten Betriebe aus.
Ausbildungsmarkt: enttäuschend
Folgerichtig ist auch keine Bereitstellung
von Ausbildungsplätzen deutlich über dem
Niveau der letzten Jahre zu erwarten. Nach
dem Berufsbildungsbericht 2013 liegt die
Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsver-
träge in Nordrhein-Westfalen nicht deutlich
über dem Niveau der letzten Jahre, sondern
fällt mit 124.000 Verträgen gegenüber dem
Vorjahr sogar um 1,9 Prozent. Für die verschie-
denen Zuständigkeitsbereiche bedeutet dies
im Einzelnen: In der Industrie und im Han-
del wurden 1.396 Ausbildungsplätze weniger
belegt, im Handwerk 1.127, im Bereich Freie
Berufe 170, im Öffentlichen Dienst 34, in der
Landwirtschaft starteten 48 Auszubildende
weniger und in der Hauswirtschaft 7.
Wie unbefriedigend die Situation auf dem
Ausbildungsmarkt ist, zeigt ein Blick auf
weitere Details: Nach wie vor ist der Über-
gangsbereich zur Ausbildung mit über 54.000
EinmünderInnen trotz eines demografiebe-
dingten Rückgangs viel zu hoch. Hinzuzurech-
nen sind 36.000 EinmünderInnen, die zur
Entdramatisierung der aufgeblähten Integra-
tions- und Ausbildungsvorbereitung heraus-
gerechnet wurden. Und dass, obwohl sie mit
der Hauptmotivation angetreten sind, nach
dem Besuch vollzeitschulischer Bildungsgän-
ge im Berufskolleg einen Ausbildungsplatz zu
ergattern.
Was die Aussage wert ist
Die Prognose des Berufsbildungsberichts
geht zunächst einmal davon aus, dass mit
einem drastischen Anstieg von Schulabgänge-
rInnen in Nordrhein-Westfalen zu rechnen ist.
Bedingt durch den doppelten Abiturienten-
jahrgang wird vor allem die Zahl der studien-
berechtigten Schulabgänger deutlich steigen.
Da der Anteil der Studienberechtigten, die
erfahrungsgemäß eine Ausbildung anstreben,
bei 20 Prozent liegt, deutet die Vorausschät-
zung auf eine negative Entwicklung der Aus-
bildungsmarktsituation 2013 hin.
Selbst die Landesregierung ist skeptisch,
ob die Wirtschaft ihre Chance nutzt, mehr
Ausbildungsstellen besetzen zu können und
damit einen Beitrag zur Sicherung ihres Fach-
kräftebedarfs zu leisten. Für die Berufskollegs
werden im Schuljahr 2013/2014 rund 650
Grundbedarfsstellen vorsorglich zusätzlich be-
reitgestellt. Diese sollen zur Abdeckung eines
gegebenenfalls eintretenden zusätzlichen
Bedarfs – ausgelöst durch den doppelten
Abiturjahrgang an Gymnasien – dienen und
einen Verdrängungswettbewerb am Ausbil-
dungsmarkt verhindern.
Dass diese zusätzlichen Stellen über eine
Umlage finanziert werden, ist nicht zu erwar-
ten. Statt – wie angekündigt – die Einführung
einer Umlagefinanzierung zu prüfen, strickt
das Schulministerium mit heißer Nadel an
einer Ausbildungs- und Prüfungsordnung im
Retro-Look. Damit beantwortet die Landesre-
gierung die Frage, ohne auch nur eine Masche
fallen zu lassen, ob die Koalitionsvertragsaus-
sage das Papier wert ist, auf dem sie gedruckt
wurde.
Dietrich Mau
„Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und des Fachkräfteman-
gels erwarten wir von der Wirtschaft verbindliche Zusagen zur Bereitstellung
von Praktikumsplätzen sowie von Ausbildungsplätzen (...). Wir werden die Ein-
führung einer regionalen Umlagefinanzierung prüfen, falls die Zahl der von den
Unternehmen bereitgestellten Praktikums- und Ausbildungsplätze nicht ausrei-
chen sollten“ – so vermerkt im Koalitionsvertrag 2012. Doch aktuell strickt das
Schulministerium Regelungen, die verstaubter nicht sein könnten.
Landesregierung NRW:
Koalitionsvertrag 2012
Bundesministerium für Bildung
und Forschung: Berufsbildungs-
bericht 2013
Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung: Betriebspanel
p us
Dietrich Mau
Fachgruppe Berufskolleg der
GEW NRW
Foto: istockphoto.com