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Strukturwandel geht
anders!
Der ökonomisch ver-
engte Blick auf den Zusam-
menhang von Bildungsre-
form und Bildungssystem
verstärkt die Selektivität
des deutschen Schulsy-
stems (a), überschätzt die
Reichweite von Steuerungskonzepten in Bil-
dungseinrichtungen (b) und zielt am Fakt des
pädagogischen Strukturwandels in Unterrichts-
und Schulentwicklung vorbei, wie er inzwischen
in einigen Bundesländern beobachtet werden
kann.
Hartmut König
Gleichwohl ist zum Beispiel der Faktor Zeit
ein didaktisches Kriterium dafür, wie intensiv
die Lern- und Bildungsprozesse der SchülerInnen
auf dem Hintergrund der Heterogenität von
Jahrgangsklassen und Lerngruppen ausfallen
können. Auf der didacta 2013 in Köln war in
manchen Vortragsveranstaltungen Kritik an der
Lernkontroll- und Regulierungseuphorie staat-
licher Bildungspolitik und der damit einherge-
henden Einschränkung der Bildungszeit für alle
Akteure zu vernehmen. Hilfreich ist dazu die
erneute Diskussion zum Thema G8 oder G9!
Das Erziehungs- und Bildungs-
system hat generell mit Unge-
wissheitserfahrungen bei den
Akteuren zu rechnen. Sie
betreffen die Interaktions-
ebene im Binnenraum
von Unterricht und die
Kooperationsstrukturen
in unterschiedlichen
Schulformen. Die ge-
sellschaftlichen Erwar-
tungen an die Funktio-
nalität der Organisati-
on Schule gipfeln in (di-
daktischen) Techniken
der Wissensaneignung
als eine Art Transformation
von „Inputs in Outputs“ (Luh-
mann). So versucht man dem
Technologiedefizit des Erzie-
hungs- und Bildungssystems
zu begegnen.
Interaktionssystem Unterricht
Betrachtet man das Interaktionssystem
Unterricht unter einem mikroperspektivischen
Blickwinkel, lässt sich die gemeinsame Arbeit
mit den Anforderungen beispielsweise unter fol-
gender Fragestellung rekonstruieren: Inwieweit
hat die Lehrer-Schüler-Interaktion zum Gelingen
oder Misslingen von Lern- und Bildungsprozes-
sen in bestimmten Phasen des Unterrichts bei-
getragen (Evaluation)? Diese Frage berührt nur
einen zentralen Aspekt des Zusammenhangs
von Kompetenz und Profession in der Aus- und
Weiterbildung von Lehrkräften allgemein.
Eigentlich sollte man annehmen, dass
Kommunikation als zentraler Bestandteil des
Interaktionssystems Unterricht eine ausführ-
lichere Berücksichtigung im Curriculum der
von der Kultusministerkonferenz definierten
Standards für die Lehrerbildung gefunden
hätte. Schließlich wird von den Absolven-
tInnen mit Blick auf den Kompetenzbereich
Unterrichten in Hochschule und Universität
erwartet, dass sie die pädagogische Praxis be-
trachten und in Praktika erfahren sollen, um
in der zweiten Phase ihrer Ausbildung diese
(theoriegeleitet) gestalten und reflektieren zu
können. Leider gelten solche Bildungsprozesse
im Kontext dieses Qualitätsverständnisses als
zeitaufwändig, pädagogisch anspruchsvoll.
Als Handlungsmaxime angesichts der immer
wieder geforderten ökonomischen Leistungs-
fähigkeit von Bildungseinrichtungen ist die-
ser Ansatz in den Augen mancher Strategen
der Bildungsreform eher zu vernachlässigen.
Illustration: I. Wilde
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nds 7/8-2013
Hartmut König
Schulpädagoge, Tätigkeiten in
Studienseminaren und Schul-
buchautor
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