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bildung
Rixa Borns
Vorsitzende der Fachgruppe
Grundschule der GEW NRW
Gute Erfahrungen in Münster
Die Herausforderungen, aber auch die Gelin-
gensbedingungen erlebe ich seit 18 Jahren im
Gemeinsamen Unterricht an „meiner“ Schule
in Münster: Hier arbeitet ein engagiertes, in-
zwischen auch erfahrenes Kollegium, zu dem
mehrere Sonderpädagoginnen und vier Erziehe-
rinnen mit halber Stelle – finanziert vom Schul-
träger – gehören. PraktikantInnen und manch-
mal auch eine Integrationshelferin unterstützen
die KollegInnen. Die materielle Ausstattung ist
mit mehreren kleinen Gruppenräumen, Barrie-
refreiheit und einem Grundstock von erprobten
Arbeitsmaterialien relativ gut.
Zur heterogenen Schülerschaft gehören 265
Kinder aus allen sozialen Schichten, viele ver-
schiedene Nationalitäten und normale „be-
sondere“ Kinder – vom Hochbegabten bis zum
Schulverweigerer. 12 Prozent der Kinder haben
sehr unterschiedliche sonderpädagogische För-
derbedarfe. Sie werden in ein bis zwei Klassen
pro Jahrgang unterrichtet, in der Regel mit
19 plus 5 oder 6 Kindern pro Klasse. Dazu
kommen in allen Klassen Kinder, für die (noch)
kein Verfahren zur Feststellung des sonderpä-
dagogischen Förderbedarfs (AO-SF) eingeleitet
wurde, die aber viel zusätzliche Unterstützung
benötigen.
Die Bündelung von Kindern mit unterschied-
lichem Förderbedarf ermöglicht eine gute
Teamarbeit und die Anwesenheit von in der
Regel zwei Pädagoginnen im Unterricht. Mit
den Sonderpädagoginnen ist teilweise auch die
Prävention in anderen Klassen zu unterstützen.
Der Standard in NRW
Unsere Schule ist auf dem Weg von der Inte-
gration zur Inklusion, aber unsere Erfahrungen
sind nicht Standard in NRW. Weniger als 50
Prozent der Grundschulen haben ansatzweise
Erfahrung mit dem Gemeinsamen Unterricht.
Viele Schulen haben nur einzelne Kinder
in verschiedenen Klassen integriert, für die
stundenweise eine Sonderpädagogin kommt.
Im Krankheitsfall wird diese Kollegin nicht
vertreten. Die differierenden Modelle und Er-
gebnisse der Kompetenzzentren sonderpäda-
gogische Förderung (KsF) sind nur ansatzweise
übertragbar.
Gesetz mit vielen Fragezeichen
Durch das neue Gesetz kommen viele neue
Herausforderungen und Ansprüche auf die
Grundschulen zu: Schwerpunktschulen, Inklu-
sionsklassen, Vorreiterschulen, Stellenbudget,
Abschaffung der AO-SF-Verfahren für Kinder
mit Lern- und Entwicklungsstörungen (LES),
Auflösung der Förderschulen. Dies alles sind
Stichworte, die noch nicht abschließend de-
finiert sind. Dennoch führen sie schon jetzt
zu Verunsicherungen und ohne gesetzliche
Grundlage leider auch immer wieder zu einer
vorauseilenden Umsetzung.
Noch ist das Gesetz nicht verabschiedet
und wir alle hoffen, dass sich noch viel ändert
– und die Erfahrungen aus über 20 Jahren
Gemeinsamen Unterrichts in den Grundschulen
einbezogen werden.
Womit müssen wir rechnen?
Das 9. Schulrechtsänderungsgesetz wird für
Veränderungen in den Grundschulen sorgen:
u
mehr Schüler mit sonderpädagogischem För-
derbedarf – aber sehr unterschiedlich verteilt
u
keine verlässliche Zuweisung von Stellen
u
keine Bündelung/Steuerung der Ressourcen
wegen fehlender Grundlagen
u
Einzelmaßnahmen, in denen die Kinder nicht
die notwendige Förderung erhalten können
und die Grundschul-KollegInnen alleingelas-
sen werden
u
Kämpfe um Ressourcen und Ausstattung
Die Forderungen der GEW sind deutlich formu-
liert: Inklusion braucht gute Bedingungen und
ist somit auch eine finanzielle Herausforde-
rung. Aber das müssen uns die Kinder und auch
die KollegInnen wert sein.
Kleines Rechenexempel
Zum Schluss ein Blick auf die aktuellen
Zahlen: 2,5 Prozent aller GrundschülerInnen
in NRW haben bisher einen sonderpädago-
gischen Förderbedarf. An den 1.574 Schulen
mit Gemeinsamem Unterricht gibt es durch-
schnittlich 8,4 LES-Kinder. Würde man ab
sofort all diese Kinder, die jetzt Grund- und
Förderschulen besuchen, gleichmäßig auf alle
Grundschulen verteilen, gäbe es durchschnitt-
lich 11 LES-Kinder pro Schule oder 1,2 Kinder
pro Klasse. Soweit die Statistik – die Praxis
sieht meistens ganz anders aus!
Rixa Borns
Die Grundschule auf dem Weg zur Inklusion
Die können das doch schon ...
Diesen Satz hört man oft, wenn über
Inklusion in den Grundschulen nach
dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz
gesprochen wird. Doch den Grund-
schulen in NRW fehlen die nötigen
Voraussetzungen (unter anderem Per-
sonal, Ressourcen und Ausstattung),
damit Inklusion gelingen kann.
Grundschule +
Förderschule
Grundschule
Förderschule
(Primarstufe)
Förderschwer-
punkt
SchülerInnen SchülerInnen Anteil an
der Gesamt-
schülerzahl
SchülerInnen Anteil an
der Gesamt-
schülerzahl
SE, HK, GG, KM
14.379
2.610
18,2 % 11.769
81,8 %
LE
12.411
5.561
44,8 %
6.850
55,2 %
ESE
7.558
4.014
53,1 %
3.544
46,9 %
SQ
12.729
3.663
28,8 %
9.066
71,2 %
Summe LES
32.698
13.238
40,5 % 19.460
59,5 %
Summe gesamt
47.077
15.845
33,7 % 31.229
66,3 %
Abkürzungen:
SE = Sehen, HK = Hören und Kommunikation, GG = Geistige Entwicklung, KM = Körper-
liche und motorische Entwicklung, LE = Lernen, SQ = Sprache, ESE = Emotionale und soziale Entwicklung,
LES = Lern- und Entwicklungsstörungen (darunter fallen die Förderschwerpunkte LE, SQ und ESE)
Quelle: Amtliche Schuldaten 2012/2013
Verteilung von SchülerInnen mit Förderbedarfen auf Grund- und Förderschulen