Haumand wählt jedes seiner Worte mit Bedacht,
während er von seinem Leben erzählt. Auch von
den dunkelsten Momenten, in denen er auf
LKW-Ladeflächen kauerte und alles um ihn
herum schwarz war. Dass er dabei so ruhig
dasitzt, lächelnd und mit offenem Blick,
macht seine Geschichte noch unvorstellbarer.
A
uf Haumands Berufsschulzeugnis wird keine Note
schlechter als eine Drei sein und auch seine Ausbildung
zum Kfz-Mechatroniker bei Audi läuft wie am Schnürchen.
Gleichzeitig macht der 22-Jährige seine Fachhochschul-
reife. Schwer vorzustellen, dass Haumand noch vor fünf
Jahren ein völlig anderes Leben führte. Damals konnte
er nicht regelmäßig zur Schule gehen. Mehrfach wurde in
das Haus seiner Familie eingebrochen, sein Bruder wurde
angeschossen. Haumand ist in Kirkuk, im nördlichen Irak,
geboren und aufgewachsen. Mit 17 Jahren floh er nach
Deutschland. Allein. Seine Eltern, seine Schwester und sei-
ne drei älteren Brüder blieben.
Kein Platz für Zukunftspläne
D
er Irak ist reich an Öl, doch Kriege und die Diktatur
Saddam Husseins haben dem Land schwer zugesetzt.
Auch nach dem Sturz des Diktators und dem offiziellen
Kriegsende im Frühjahr 2003 herrschen im Irak bürger-
kriegsähnliche Zustände. Die soziale Lage des Landes ist
schlecht: Über 20 Prozent der Bevölkerung leben unter-
halb der Armutsgrenze. Rund 16 Prozent der Männer und
36 Prozent der Frauen können nicht lesen und schreiben.
Schon unter Saddam Hussein verließen 400.000 Iraker ihr
Land, seit 2003 flohen weitere 1,8 Millionen Menschen
vor Gewalt und Perspektivlosigkeit. Hinzu kamen über 1,6
Millionen Binnenflüchtlinge.
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009 war auch Haumand einer von denen, die auf eine
bessere Zukunft in einem anderen Land hofften. Er war
auch im Irak ein guter Schüler, wollte studieren. Doch in
seinem Heimatland war kein Platz für Zukunftspläne. „Ich
Im Land
der Möglichkeiten
wusste morgens nicht, ob ich aus der Schule wieder nach
Hause kommen würde“, erinnert er sich an die letzte Zeit
in seiner Heimat. „Ich konnte noch nicht einmal einen Tag
weit planen.“ Schlechte Bildungschancen und die instabi-
le Sicherheitslage bringen seinen Vater schließlich zu der
Entscheidung, seinen jüngsten Sohn nach Deutschland zu
schicken. Die Idee, mit Hilfe von Schleppern in ein anderes
Land zu fliehen, ist Haumand nicht fremd. Er kennt solche
Geschichten aus seiner Stadt. Und so ist auch der Kontakt
zu den richtigen Leuten nicht schwer herzustellen.
S
chon kurze Zeit später findet sich der damals 17-Jähri-
ge auf der Ladefläche eines LKW wieder. Zusammen mit
fünf anderen kauert er tagelang im Dunkeln, verliert das
Gefühl für die Zeit. Kekse und ein bisschen Wasser haben
die Fluchthelfer ihnen gegeben. Es ist nicht genug Platz,
um sich hinzulegen. Die Beine werden taub. Der hoff-
nungsvolle Gedanke an das Ziel wird von dem Schwarz
verschluckt, das Haumand umgibt. „Ich hatte das Gefühl,
dass mein Leben für immer so bleiben würde“, erinnert
er sich heute. „Es hat sich am Ende fast schon normal
angefühlt.“
Sprachlos in Deutschland
D
och Haumand kommt an. Nach vier Wochen, wie er
heute weiß. In Köln setzen die Schlepper ihn ab und es
dauert nicht lange, bis er der Polizei in die Hände fällt.
Nur mit Mühe kann er heute seine ersten Stunden und
Tage in Deutschland rekonstruieren, doch an eines erin-
nert er sich ganz genau: an seine Sprachlosigkeit. Er ver-
steht nicht, was die Menschen in der fremden Sprache von
Fotos: Annette Etges