Zwischen den Fronten
Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge beginnt in Deutschland oftmals ein neues Leben.
Doch im Spannungsfeld zwischen restriktiver Ausländerpolitik und fördernder Kinder- und
Jugendhilfe fällt die Orientierung nicht immer leicht.
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Unbegleitet. Minderjährig. Flüchtling.
J
edes Jahr werden etwa 4.000 unbegleitete minderjäh-
rige Flüchtlinge in Deutschland durch Jugendämter in
Obhut genommen – in NRW waren es im Jahr 2011 über
540. Ein Großteil dieser Kinder und Jugendlichen stammt
aus Afghanistan, Irak und Somalia, seit letztem Jahr ver-
mehrt auch aus Syrien. Auch Äthiopien, Eritrea und Gui-
nea zählen zu den Hauptherkunftsländern. Neben Krieg,
Bürgerkrieg, ethnischer oder religiöser Verfolgung und
Menschenrechtsverletzungen gibt es bei Minderjährigen
kinder- und jugendspezifische Fluchtgründe wie Zwangs-
rekrutierung, Genitalverstümmelung und Zwangsheirat.
Auch völlige Perspektivlosigkeit in von (Bürger-)Kriegen
zerrütteten Staaten führt dazu, dass Heranwachsende
eine sichere Zukunft außerhalb ihres Landes suchen.
Auf der Flucht
F
lucht bedeutet für junge Menschen zunächst Verlust –
von vertrauten Personen und ihrem sozialen Umfeld, von
Sprache, Status, bewährten sozialen Handlungsstrate-
gien und Deutungsmustern. Viele unbegleitete minder-
jährige Flüchtlinge sind monatelang unterwegs, nicht sel-
ten erfahren sie Gewalt auf der Flucht. Häufig leiden sie
unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung, deren
Ursachen nicht nur in den Erlebnissen im Heimatland,
sondern auch in den Erlebnissen während der Flucht lie-
gen. Für ihre physische und vor allem ihre psychische Ge-
sundheit brauchen die Kinder und Jugendlichen deshalb
bei ihrer Ankunft ein Setting, das ihnen Schutz, Sicher-
heit und Ruhe bietet. Ein Setting, das ihnen erlaubt, ihre
Kompetenzen und Ressourcen sichtbar zu machen und
einzusetzen.
Ankommen im Paragrafendschungel
U
nbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind zunächst Min-
derjährige und fallen damit in den Rechtsbereich des SGB
VIII (Kinder- und Jugendhilfe) und in die Zuständigkeit
des Jugendamtes. Zugleich stehen sie jedoch auch im Fo-
kus ordnungspolitischer Interessen und werden von diver-
sen restriktiven ausländer- und asylrechtlichen Gesetzen
berührt. Diese doppelte und vielfach widersprüchliche
Gesetzeslage hat in der Praxis dazu geführt, dass unbe-
gleitete minderjährige Flüchtlinge nicht überall – wie vom
Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) vorgesehen – in Ob-
hut genommen und nach Jugendhilfestandards unterge-
bracht und betreut werden. Zwar wurde mit Novellierung
des KJHG im Jahr 2005 ein wesentlicher Schritt unter-
punktlandung 2013.1
nommen, die Minderjährigen aus diesem Spannungsfeld
herauszulösen, jedoch hat sich bis heute nicht allerorts
das Primat der Jugendhilfe durchgesetzt.
S
eit 2010 gilt die UN-Kinderrechtskonvention auch für
ausländische Kinder und Jugendliche, die in Deutschland
leben. Dennoch sieht die Bundesregierung bis heute kei-
nen Handlungsbedarf, die Ausländergesetzgebung an
die Vorgaben der Konvention anzupassen. Noch immer
findet in einigen Bundesländern keine adäquate Aufnah-
me und Betreuung der Minderjährigen statt. In Bayern,
Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen werden 16- und
17-Jährige in Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewer-
ber untergebracht. Noch immer werden Minderjährige in
Abschiebehaft genommen. Vielerorts gibt es für 16- und
17-Jährige keine Beschulungsmöglichkeiten.
A
uch die Politik muss junge Flüchtlinge endlich als Träger
legitimer Rechte anerkennen. Ihnen Zugang zu elementa-
ren Rechten wie Schutz, Erziehung oder Bildung zu gewäh-
ren, ist keine freiwillige großzügige Leistung, sondern ein
in nationalen wie internationalen Gesetzen festgeschrie-
bener Rechtsanspruch.
Stefanie Studnitz
Bundesfachverband UMF e. V.
Bundesfachverband UMF e.V.: Reader „Bildung und
Arbeit für Flüchtlinge“ (Februar 2013; 8,50 EUR).
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Inobhutnahmen und Asylerstanträge von UMF 2009 - 2011
Quellen: Bundesfachverband UMF und BAMF
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