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Tipps für denUnterrichtmit erwachsenen
Lernen unter
erschwerten Bedingungen
Washänschennicht gelernt hat, kannhans immer noch lernen.Dasgilt grund-
sätzlich auch für das Lesen und Schreiben. anders als bei Kindern sind die
herausforderungen für erwachsene jedochungleichgrößer.
So wie das Kleinkindmühelos die Erst- und
manchmal auch eine Zweitsprache erwirbt,
fällt der Schriftspracherwerb imGrundschulal-
ter in eine günstige Entwicklungsphase. Und
so wie Erwachsene einen größeren Lernauf-
wand für eine Fremdsprache aufwenden müs-
sen, fällt ihnendas Lesen- undSchreibenlernen
schwerer als fünf- bis siebenjährigenKindern.
Individuelles Lernen ermöglichen
Hinzu kommt, dass Erwachsene in Alpha-
betisierungskursen oft frustrierende Lerner-
fahrungen während ihrer Schulzeit gemacht
haben und sich nun mit demselben Lernge-
genstand befassen, an dem sie bereits einmal
gescheitert sind. Vor diesem Hintergrund ist
es wichtig, möglichst genau die vorhandenen
schriftsprachlichen Kompetenzen der Teil-
nehmerInnen zu ermitteln und die nächsten
sinnvollen Entwicklungsstufen anzusteuern.
Ein Lernen imGleichschritt ist ausgeschlossen
und die Verwendung von Lehrwerken zumin-
dest problematisch.
Alphabetisierungskurse, diemeistens sechs
bis acht Personen umfassen, zeichnen sich
durch extreme Heterogenität aus. Während
sich einige TeilnehmerInnen schonmit ersten
orthografischenRegelnauskennen, sindande-
re noch nicht in der Lage, einfacheWörter zu
lesen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit,
dengemeinsamenUnterricht für allemit Lern-
phasen in Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit
anzureichern – eine sehr anspruchsvolle Auf-
gabe für die KursleiterInnen.
Andie eigene Lebenswelt anknüpfen
Bewährt haben sich vor allem Freiarbeits-
materialien, die flexibel und passgenau ein-
setzbar sind, an und mit denen immer wie-
der etwas Neues gelernt werden kann. Auch
das Schreiben eigener Texte hat einen festen
Platz inder Alphabetisierung. Die LernerInnen
werden dabei angeregt, Themen aus ihrem
persönlichen oder beruflichen Kontext auf-
zugreifen. Das erhöht die Motivation, knüpft
an Vorwissen an, berücksichtigt die realen
Lese- und Schreibanforderungen und verhilft
zum Transfer des Gelernten in den Alltag.
Kurze mündliche Äußerungen von Leseanfän-
gerInnen werden von der Kursleitung notiert
und dienen als erste Lektüre.
Fortgeschrittene LernerInnen wiederum
schreiben selbst einen Text und die Kurslei-
tung gibt Hinweise zur Selbstkorrektur. Die-
sen Texten können Lernwörter und Fehler-
schwerpunkte für die weitere systematische
Bundesverbandalphabetisierung
undGrundbildung e.V.: Freiar-
beitsmittel, Lehrwerke, leicht
lesbare Texte für erwachsene
VhSOldenburg, aBC-Projekt: Kos-
tenloseUnterrichtsmaterialien
pus
alphabetisierungundGrundbildung inder arbeitswelt
Lebenslanges LernenmitMENTO
Über die hälfte der funktionalen analphabetInnen in Deutschland sind
erwerbstätig und somit unmittelbare KollegInnen in den Betrieben und
Verwaltungen. DasDGB-ProjektmeNTOwill diesemenschenerreichenund
dabei unterstützen, vorhandenen Grundbildungsbedarf zu erkennen und
möglichkeitender Qualifizierung zu entdecken.
MENTO setzt dafür auf die Ausbildung von MentorInnen und Lernberate-
rInnenunddenAufbau vonNetzwerken. DieMentorInnen sind keine externen
Personen, sondern KollegInnen in den Betrieben und Verwaltungen. Sie sind
AnsprechpersonenaufAugenhöheund sollendieMentees dabei unterstützen,
vorhandene Lernerfordernisse und -bedürfnisse zu identifizieren und sie dazu
ermutigen, ihren eigenenBildungsweg zu finden.
Die LernberaterInnenunterstützendie
Mentees, indem sie unterschiedliche
Lern- und Qualifizierungsmöglichkeiten aufzeigen und die Kontaktstelle zu
Weiterbildungseinrichtungenaußerhalbder BetriebeundVerwaltungenbilden.
MENTO setzt darüber hinaus einen Schwerpunkt auf dieBeratung, Information
und Sensibilisierung vonbetrieblichenEntscheidungsträgern, Betriebs- undPer-
sonalräten, Vertrauensleuten und Personalverantwortlichen.
MENTO ist einProjekt desDGBBildungswerkes BUNDundwird indenRegio-
nen der DGB Bezirke Nord, Berlin-Brandenburg, Hessen-Thüringen, Bayern,
Baden-Württemberg undNordrhein-Westfalen umgesetzt.
mehr Infos unter
Weiterarbeit entnommen werden. Besonders
gelungene Texte werden vom Bundesverband
Alphabetisierung und Grundbildung veröf-
fentlicht und in den Lese- und Schreibkursen
verwendet. Die Formulierungen weisen eine
große Nähe zur mündlichen Sprache auf und
sind dadurch leicht zu lesen, die AutorInnen
haben eine ähnliche Lernbiografie und Le-
benswelt wie die LeserInnen. Für viele Lerne-
rInnen ist das sehr motivierend und regt dazu
an, einen eigenen Text zu verfassen.
Auch wenn nicht alle TeilnehmerInnen
die Zone des funktionalen Analphabetismus
verlassen: In denmeisten Fällen haben sie an-
gesichts der geringenKursintensität von etwa
vier Wochenstunden und unter erschwerten
BedingungendeutlicheLernfortschritteerzielt,
können ihre Kompetenzen besser einschätzen
und trauen sich, manche Herausforderungen
im Lesen und Schreiben anzunehmen.
Peter Hubertus
Foto: Photographee.eu/fotolia.com
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