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nds 8-2014
Schreibkurs zubesu-
chen. Es geht auch
so. Erstwenndieoder
der Delegationspart-
nerIn nicht mehr zur
Verfügung steht, das
eigene Kind eingeschult
bb
wird oder Arbeitslosigkeit
droht, wird der Leidensdruck
bei einigen so groß, dass
Lernmöglichkeiten wahrge-
nommenwerden.
Diese zweite Chance
nutzenbisher allerdings
erst wenige. Derzeit be-
suchen etwa 25.000
Erwachsene Alphabe-
tisierungskurse, die vor
aa
allem von Volkshochschulen
angeboten werden. Nicht überall
gibt es Angebote, und nicht alle Interessierten
können die Kursgebühren bezahlen. Aber auch
nicht alle, die gravierende Probleme mit der
Schrift haben, wollen einen Kurs besuchen.
Die Kampagne „Lesen und Schreiben – mein
Schlüssel zur Welt“ will Betroffene ermutigen,
Lesen und Schreiben zu lernen und verweist
auf das Alfa-Telefon, wo AnruferInnen über
Lernmöglichkeiten beraten und an Einrich-
tungen inderNähe ihresWohnortes vermittelt
werden. Doch viele Erwachsene scheuen sich,
aus der Anonymität zu treten und in einer
Kleingruppe zu lernen.
ankeGrotlüschen,Wibke
Riekmann (hrsg.): Funktionaler
analphabetismus inDeutschland.
ergebnisse der ersten leo. – Level-
One Studie
Bundesverbandalphabetisierung
undGrundbildung e.V.:
- Übersicht über einrichtungen
mit Lese- und Schreibkursen für
erwachsene
- Unterrichtsmaterialien, leicht
lesbare Texte für erwachsene
und Fachliteratur
pus
Peter hubertus
Bis Juni 2014Geschäftsführer des
BundesverbandesAlphabetisierung
undGrundbildung e.V.; Leiter von
Fortbildungsveranstaltungen zur
Alphabetisierungsarbeit
Angebotsstruktur verbessern –
Zugänge erleichtern
Was fehlt, sind aufsuchende, niederschwel-
lige und alltagspraktische Grundbildungsan-
gebote: Wie kann ichmeinKind unterstützen,
wenn es in die Schule kommt? Wie sollte ich
mich alsDiabetikerIn verhalten?Wie kann ich
mich trotz geringer Einkünfte gesund ernäh-
ren, informieren, an Gesellschaft teilhaben?
Die mehr oder weniger beiläufige Einbettung
von Lesen und Schreiben und die inhaltliche
Ausrichtungauf relevante Themen könnten si-
cherlichmehr Menschen als bisher für Grund-
bildung ansprechen.
Derzeit werden vom Bund verschiedene
Projekte zur „Arbeitsplatzorientierten Alpha-
betisierung und Grundbildung Erwachsener“
gefördert und alle Bundesländer engagieren
sich stärker als noch vor einigen Jahren für
die neuen Zielgruppen. Der Grund: Im Jahr
2012wurde die gemeinsame „Nationale Stra-
tegie für Alphabetisierung und Grundbildung
Erwachsener in Deutschland“ vereinbart , an
der Bund, Länder und wichtige gesellschaft-
liche Gruppen und Akteure beteiligt sind.
UnddieGroßeKoalitionhat angekündigt, die
Alphabetisierungsstrategie zu einer Dekade
der Alphabetisierung weiterzuentwickeln.
Damit greift sie die Empfehlung des
Bundesverbandes Alphabetisierung und
Grundbildung auf, in den Ländern und auf
Bundesebene Strukturen zu schaffen, die
für einen Zeitraum von zunächst zehn
Jahren eine verlässliche Basis schaffen und
Perspektiven eröffnen. Angesichts des nach
wie vor bestehenden Kooperationsverbots ist
das keine einfacheHerausforderung.
Fest steht: Aufgabe einer modernen demo-
kratischen Gesellschaft ist es, allenMenschen
zu ermöglichen, ihr Bildungspotenzial weitest-
gehend zu entfalten. Das gilt für Kinder und
Erwachsene, für Hochbegabte und Lernbehin-
derte–unabhängigvonNationalität,Herkunft
oder Geschlecht. Dies ist nicht nur im Sinne
des Postulats von Bildungsgerechtigkeit erfor-
derlich, sondern auch angesichts der Heraus-
forderungendes demografischenWandels. Die
ausreichende Beherrschung der Schriftsprache
bleibt trotz technischer Innovationen wie der
Spracheingabe bei Smartphones Grundlage
für den Erwerb vieler Wissensbestände und
Kompetenzen.
Peter Hubertus
leo. – Level-One Studie
7,5Millionen funktionaleAnalphabetInnen
Nach einer langen Datenebbe erfasste leo.
zwischen 2010 und 2013 erstmals die Größen-
ordnung des funktionalen analphabetismus in
Deutschland. Die Studie der Universität ham-
burg setzte beim untersten Kompetenzniveau
des Lesens und Schreibens an, dem Level-One.
Getestet wurden 8.436 zufällig ausgewählte
menschen zwischen18und64 Jahren.
Erste Ergebnisse der Studie wurden 2011 veröffent-
licht: 7,5 Millionen Deutsch sprechende Erwachse-
ne – 14 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung
– sind demnach funktionale AnalphabetInnen. Sie
können nur eingeschränkt lesen und schreiben und
sind deshalb von gesellschaftlicher Teilhabe ausge-
schlossen. Weitere 13 Millionen Menschen können
nicht fehlerfrei schreiben. Mehr als vier Prozent der
erwerbsfähigen Bevölkerung sindAnalphabetInnen
im engeren Sinne. leo. unterscheidet hier noch
einmal zwei Kompetenzniveaus: Alpha-Level 1 mit
Lese- undSchreibschwierigkeitenunterhalbderWor-
tebene und Alpha-Level 2, bei dem das Lesen und
Schreiben einzelner Wörter gelingt, ganze Sätze
jedoch zur Überforderungwerden.
In der Auseinandersetzung mit funktionalem
Analphabetismus eröffnete die Studie neue Per-
spektiven. Die Beobachtungen aus den Alphabe-
tisierungskursen förderten langeZeit dasKlischee,
funktionale AnalphabetInnen seien überwiegend
arbeitslos, sozial isoliert und ohne Schulabschluss.
Tatsächlich haben 19,3 Prozent von ihnen kei-
nen Schulabschluss. 47,7 Prozent verfügen nur
über untere Bildungsabschlüsse. 17 Prozent sind
arbeitslos. Doch auch Menschen mit höheren Bil-
dungsabschlüssenmachenmit 12,3 Prozent einen
nennenswerten Teil der funktionalen Analphabe-
tInnen aus und die Mehrheit der Betroffenen –
nämlich 57 Prozent – ist berufstätig. Und: Funkti-
onaler Analphabetismus ist nicht nur ein Problem
der Zuwanderungsgesellschaft. 58 Prozent der Be-
troffenen haben Deutsch als Erstsprache gelernt.
AnjaHeifel
Quelle: leo. – Level-One Studie, Presseheft