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THEMA
Wissenschaft ist indermodernenbürgerlichenGesellschaft eine prestige-
trächtige Sphäre unddas nicht zuletzt deshalb, weil wissenschaftlichem
Wissen eine zentraleDeutungshoheit unddamit gesellschaftlicheMacht
zukommt.Wer dort lehrt und forscht, genießt denRuf, besonders schlau
zu sein. Gleichzeitig lebt und arbeitet eingroßer Teil der Angehörigendes
Wissenschaftssystems unter Bedingungen, die als prekär geltenmüssen.
Wissenschaft und Forschung
Prestige schützt nicht
vor Prekarisierung
Wissenschaft und Forschung
außerhalbdes Tarifs
Eine eindeutig als prekär anzusehende Per-
sonalkategorie stellen die wissenschaftlichen
Hilfskräfte (WHK) dar. ImUnterschied zu stu-
dentischenHilfskräften (SHK)muss fürdieEin-
stellungalsWHKmindestenseinBachelor, das
heißteinersterberufsqualifizierenderAbschluss,
vorliegen. Ebenso wie bei den SHK handelt
es sich jedoch um außertarifliche Beschäfti-
gungsverhältnisse.DamitwirddasEinkommen
einseitigvondenHochschulleitungenfestgelegt–
mit dem Effekt, dass der Verdienst insgesamt
niedrigerundderUrlaubsanspruchgeringer ist
als bei Tarifbeschäftigten. Die Tätigkeiten von
WHKhingegen–dashabenGerichtewiederholt
festgestellt–unterscheidensich imAllgemeinen
nicht von denen der tariflich beschäftigten
wissenschaftlichenMitarbeiterInnen. Auchdie
Ausbildung isthäufigdieselbe,wurdendochso-
garPromovierteschonalsHilfskräfteeingestellt.
Für dieHochschulen ist die Beschäftigung als
WHK damit vor allem ein Mittel, um Geld zu
sparen.GleichzeitigsiehtProfessorinMüller, die
ineinemnotorischunterfinanziertenFachbereich
lehrt, derNachwuchsförderungaber eineechte
Herzensangelegenheit ist, im Angebot eines
VertragsalsWHK für ihrenDoktorandenStefan
Meier die einzigeMöglichkeit, ihm überhaupt
eine Stelle anderHochschule zu verschaffen –
und dieser nimmt dankbar an.
Ebenfalls außerhalb tarifvertraglicher Re-
gelungen bewegt sich die Personalkategorie
der Lehrbeauftragten. Allerdings begründet
ein Lehrauftrag weder ein Arbeits- noch ein
Dienstverhältnis.Bezahltwirdnurdiegeleistete
Lehrveranstaltungsstunde. Die Stundensätze
bewegen sich zwischen 16,- und 80,- Euro,
womit Vor- und Nachbereitung als abgegol-
ten betrachtet werden. Einheitliche Kriterien
für die Vergütung fehlen; häufig geben die
finanziellen Möglichkeiten des Instituts oder
persönliche Kontakte denAusschlag. Da kein
Arbeitsverhältnis besteht, müssen Lehrbeauf-
tragte Steuern und Versicherungen allein be-
streiten. Prekär sind Lehraufträge aber damit
noch nicht in jedem Fall. Herr Kraus zum Bei-
spiel ist unbefristet angestellter Leiter einer
Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungundbietet
regelmäßig ein Seminar als Lehrbeauftragter
an. Er sieht darindieChance, seinpraktisches
Wissen mit angehenden SozialarbeiterInnen
zu teilen. FrauTorresMoledohingegenbestrei-
tet ihren Lebensunterhalt ausschließlich mit
Lehraufträgen für Spanisch im Umfang von
sechs und von acht Wochenstunden an zwei
verschiedenenHochschulen inNRW.Ähnlichwie
beiHonorarkräften inderErwachsenenbildung
schlucktdieKrankenversicherungbereitseinen
beträchtlichen Teil ihrer Honorare, sodass sie
für die Rente nichts zurücklegen kann. Selbst
imKrankheitsfall schleppt sie sich nachMög-
lichkeit zur Hochschule, denn Anspruch auf
Lohnfortzahlung hat sie nicht.
EinSonderbefristungsrecht
für dieWissenschaft
Eine zentraleRolle für dieprekärenArbeits-
undLebensverhältnisse imWissenschaftsbereich
spieltdasBefristungswesen.UnterhalbderPro-
fessurgibteskaumunbefristeteStellen inLehre
und Forschung: Etwa 80 Prozent des akade-
mischenMittelbaushabenbefristeteVerträge–
nicht selten mit Laufzeiten unterhalb eines
Jahres.Die rechtlicheGrundlagedafürbildetdas
Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG),
das einen Sonderbefristungstatbestand für
wissenschaftlichBeschäftigte schafft.
FürMitarbeiterInnen inTechnikundVerwal-
tunggeltenhingegendieengerenRegelungen
desTeilzeit-undBefristungsgesetzes.Unbefriste-
te Arbeitsverhältnisse sind dort zwar häufiger
zu finden, aber auch in dieser Personalgruppe
ist jeder viertebis fünfteArbeitsvertrag zeitlich
befristet.WiedieAuseinandersetzungzwischen
denBeschäftigtendesBotanischenGartensund
der Freien Universität (FU) Berlin zeigt, droht
hier zudem die Gefahr einer besonderen Form
der Prekarisierung: diedes Lohndumpings qua
Outsourcing. Der Botanische Garten gehört
zur FU Berlin, nur ein Teil der Beschäftigten
ist jedochauchdort angestellt. DiejenigenBe-
schäftigten,diebeidemFU-Tochterunternehmen
„Betriebsgesellschaft fürdieZentraleinrichtung
BotanischerGartenundBotanischesMuseum“
angestellt sind, erhalten für dieselbeArbeitbis
zu40 Prozent weniger Lohn.
DasWissZeitVGerlaubt,WissenschaftlerInnen
vorundnachderPromotion für jeweilsmaximal
sechs Jahre – in der Medizin für neun Jahre –
befristet zubeschäftigen.Begründetwurdeund
wird die Notwendigkeit solch ausgedehnter
Befristungsmöglichkeiten mit der Qualifizie-
rung von NachwuchswissenschaftlerInnen.
Faktischbleibendie Vertragslaufzeiten jedoch
zumeistdeutlichhinterden tatsächlich für eine
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