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BILDUNG
te sich. Jetzt sprach sie ruhig und flüssig darü-
ber, wie sie lernte, mit ihrer Behinderung um-
zugehen und sie weitgehend zu überwinden.
Sie berichtete, wie sie am Beginn der The-
rapie in Gruppen in die Bonner Innenstadt
gingen und dort Passanten ansprachen. Das
war sehr hart, aber so lernte sie, Angst und
Scham zu überwinden. Am Wochenende fuhr
sie nach Hause und sprach dort mit Leuten,
die sie kannte, telefonierte auch: Telefonieren
gehört zu den Situationen, vor denen sich ein
Stotterer besonders fürchtet.
In der Therapie lernte sie verschiedene
Techniken, wie den leisen und weichen
Stimmeinsatz und das strukturierte Sprechen.
Besonders wichtig ist der Transfer in den All-
tag – das, was in der geschützten Umgebung
der Therapieräume gelernt wird, muss auf
den Alltag übertragen werden. Ansprechen
Fremder und Vorträge halten gehören dazu.
Inzwischen hat sie auch eine Stelle gefunden.
Der Applaus der ZuhörerInnen war groß!
Die Kontrolle zurückerobern
Der Behandlungserfolg faszinierte mich.
Nach dem Vortrag ging ich mit den beiden
Referenten in die Abteilung, wo Stotterer sta-
tionär behandelt werden und lernte den The-
rapeuten Holger Prüß kennen, der die Bonner
Stottertherapie entwickelt hat. Holger Prüß
ist selbst Betroffener.
Ziel der Stottertherapie sei es, so Holger
Prüß, jedem Betroffenen zu einem angstfrei-
en und selbstbewussten Kommunikationsver-
halten zu verhelfen. Dazu gehört ein Höchst-
maß an Flüssigkeit und Kontrolle im Spre-
chen, langfristig und in allen Lebensbreichen.
„Wichtig ist, dass mich das Stottern nicht
mehr bestimmt, sondern dass ich gelernt ha-
be, das Stottern zu bestimmen.“
Die Bonner Stottertherapie basiert auf ei-
ner stationären Intervall-Behandlung. Die ers-
te Phase geht über fünf Wochen, die zweite
über drei Wochen, dann folgen zwei einzelne
Wochen zur Nachbehandlung. Damit ist das
Stottern aber keineswegs für immer geheilt.
Ein Stotterer muss täglich weiter trainieren,
Anleitungen und Material bekommt er von
der Klinik nach Hause mit. Das eigene Enga-
gement ist sehr wichtig.
Anne Ratzki
Therapien für Stotterer kannte ich bisher
nicht – bis ich mit einem Besuchsteam des
Deutschen Schulpreises die Paul Martini
Schule (Schule für Kranke) in Bonn besuchte.
Dort gehen Kinder und Jugendliche zur Schu-
le, die in den Kliniken des Landschaftsver-
bandes Rheinland stationär behandelt wer-
den, darunter auch Jugendliche, die eine
Stottertherapie machen.
Ängste überwinden – Techniken lernen
Im Besuchsprogramm war ein Vortrag vor
SchülerInnen der Oberstufe über die „Bonner
Stottertherapie“ vorgesehen. Eine junge Frau
und ein junger Mann berichteten über ihre Er-
fahrungen als Stotterer, ihre Probleme in der
Schule und ihre Ablehnung bei der Stellensu-
che. Die junge Frau hatte ein Video mitge-
bracht, wie es mit allen Patienten bei der Auf-
nahme gemacht wird: Bei den Bemühungen,
bestimmte Laute zu bilden, wurden ihre Ge-
sichtszüge zur Grimasse, ihr Körper verkrampf-
Stottern muss kein lebenslanges Schicksal sein – ein Beispiel:
Die Bonner Stottertherapie
Jede Lehrerin, jeder Lehrer kennt Schülerinnen und Schüler, die stumm in der
Klasse sitzen, sich nicht am Unterricht beteiligen, die Sprechen vermeiden und
oft Außenseiter sind. Dies kann ein typisches Vermeidungsverhalten von Stot-
terern sein. Diese Sprachstörung erzeugt Angst und Scham und behindert nicht
nur Kommunikation und schulische Leistungen, sondern später auch das be-
rufliche Fortkommen.
Prof. Dr. Anne Ratzki
Institut zur Förderung der
Teamarbeit Köln
Kontakt: Kuckelbergweg 13
51069 Köln
Email:
p us
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Informationen
Die Bonner Stottertherapie basiert auf
der Integration von zwei herkömmlichen
Konzepten: dem
Abbau
von Angst, Scham
und Vermeidung sowie dem
Aufbau
eines
kontrollierten, spannungsarmen Stotterver-
haltens durch Modifikationstechniken sowie
Techniken
zur Erarbeitung eines flüssigen
Sprechens durch Einflussnahme auf das ge-
samte Sprechverhalten (fluency shaping)
Kontakt: Email:
oder Tel.
0228/551-2866 oder 2676
LVR-Klinik Bonn, Abtl. Neurologie – Haus
21.0, Bereich Stottertherapie, Kaiser Karl-
Ring 20, 53111 Bonn.
Die Kosten der Behandlung werden in
der Regel von allen gesetzlichen und pri-
vaten Krankenkassen übernommen.
Lesetipp
Stottern in der Schule
Georg Thum
Ein Ratgeber für Lehrerinnen
und Lehrer
100 S., ISBN 978-3-921897-66-9,
Demosthenes-Verlag, Köln, 9,50 Euro (für
Mitglieder)
Bis zu fünf Prozent aller Kinder sind von
Stottern betroffen. Speziell in der Schule
kann die Sprechbehinderung zur extremen
Belastung werden – für alle. Georg Thum
will in übersichtlicher, präziser Form
Grundlagen vermitteln über die Sprechbe-
hinderung Stottern. Er informiert über
Nachteilsausgleiche für mündliche Leis-
tungen und rechtliche Hintergründe. Der
Ratgeber vermittelt praxisnahe Vorschlä-
ge und Methoden für förderlichen, positi-
ven Umgang mit Stottern in der Schule.
Der Demosthenes-Verlag ist der Fachver-
lag der Bundesvereinigung Stotterer-
Selbsthilfe. Mehr Bücher dazu unter:
– mehr In-
formationen bei der Stottererselbsthilfe
unter:
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