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nds 5-2012
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Und der Lernzuwachs?
Interessant ist auch der Beitrag von Chri-
stoph Schneider und Peter H. Ludwig. Sie fas-
sen die Kenntnisse über die Wirkungen von
äußerer und innerer Differenzierung zusam-
men. Dabei zeichnen sie ein facettenreiches
Bild und nehmen neben den akademischen
Leistungen auch die Auswirkungen auf das
Selbstkonzept der Schülerinnen und Schüler in
den Blick.
Hinsichtlich der Frage nach äußerer oder in-
nerer Differenzierung kommen sie zu dem
Schluss, dass „sich keine überzeugenden Bele-
ge“ für die Überlegenheit hinsichtlich des Lern-
zuwachses bei einer Form finden lassen.
Gleichwohl machen sie deutlich, dass es bei
der Frage nach der richtigen Differenzierung
nicht allein um den akademischen Lernzu-
wachs gehen kann. Denn es gebe eindeutige
Hinweise, dass Schulen mit einer binnendiffe-
renzierten Unterrichtskultur ein deutlich besse-
res Sozialverhalten ihrer Schülerschaft aufwei-
sen. Schulen, die bei der Entwicklung ihre Dif-
ferenzierungsmodelle nach Orientierung su-
chen, werden in diesem Beitrag fündig werden.
Ernüchternde Befundlage
Die in dem Band versammelten Beiträge
zeigen insgesamt, dass die mit der Individuali-
sierung verbundenen Hoffnungen unter den
gegebenen Bedingungen nur mit Mühe ein-
zulösen sein werden. Die Befundlage ist eher
ernüchternd.
Die vielfältigen Beiträge lassen vermuten,
dass die Bemühungen um eine verstärkte Indi-
vidualisierung auf viele Probleme stoßen wer-
den. Ferner wird bei der Lektüre der Beiträge
immer wieder deutlich, dass die einseitige Kon-
zentration auf eine verstärkte Individualisie-
rung nicht zwangsläufig zu besseren Lerner-
gebnissen führen wird. Für erfolgreiche Lehr-
Unbeantwortete Fragen
Auf eine Vielzahl unbeantworteter Fragen
weisen Wischer/Trautmann in ihrem lesens-
werten Beitrag hin. So sei bislang völlig un-
klar, ob beispielsweise ein schwacher Schüler
durch einen individualisierten Unterricht, in
dem er seine Arbeitsblätter selbst auswählen
kann, nicht „in seinem Niveau be- und gefan-
gen bleibt“.
Die Autoren weisen auch darauf hin, dass
die Forderung nach einem differenzierten Un-
terricht sehr hohe Anforderungen an die Lehr-
kompetenz richtet, die „vermutlich erst im
Verlauf langjähriger Berufspraxis entwickelt“
werden könne. Deshalb warnen sie vor der
Gefahr einer heillosen Überforderung der
Lehrkräfte.
Voraussetzungsreich und komplex
Das Autorenteam um Thorsten Bohl
kommt in seiner Zusammenfassung des aktu-
ellen Forschungsstandes zu einer ernüchtern-
den Einschätzung: Es stellt fest, dass „indivi-
dualisierter, differenzierter oder offener Un-
terricht keinesfalls per se wirksam ist“.
Gerade mit dem Blick auf leistungs-
schwächere Schülerinnen und Schüler be-
trachten die Autoren die kritischen Befunde
der empirischen Forschung. Dabei gehen sie
nicht so weit, das Ziel der verstärkten Indivi-
dualisierung abzulehnen. Aber sie verweisen
ausdrücklich darauf, dass lernwirksame Diffe-
renzierung eben sehr voraussetzungsreich,
komplex und auf die hohe Expertise der Lehr-
kräfte angewiesen sei.
Sie kommen zu dem Schluss, dass „es ge-
rade für den Umgang mit Heterogenität loh-
nenswert ist, nicht unmittelbar und aus-
schließlich in individualisierende Konzepte zu
investieren, sondern (auch und zunächst) an
den grundlegenden Lehrkompetenzen anzu-
setzen.“
Lernprozesse ist der „konstruktivistisch orien-
tierte Unterricht mit inhaltlicher Strukturie-
rung“ ein unverzichtbarer Bestandteil.
Manfred Bönsch betont eingangs, dass „das
Herangehen an dieses schwierige Thema ent-
spannt zu praktizieren sei.“ Dieser Empfehlung
ist mit Blick auf die schulische Umsetzung un-
bedingt zuzustimmen, allerdings darf der kriti-
sche Blick auf diese Prozesse nicht fehlen. Da-
zu leistet das Buch einen wertvollen Beitrag.
Ludger Brüning
Ludger Brüning
Lehrer für Deutsch, Geschichte
und Sozialwissenschaften an
der Gesamtschule Hagen-Haspe,
Fachmoderator der
Bezirksregierung Arnsberg
Individualisierung und Differenzierung im Unterricht – Fallstricke und Herausforderungen
Orientierung für die Schulentwicklung
Ein neuer Sammelband fasst den Forschungsstand zur Individualisierung zu-
sammen. Manfred Bönsch betont in seinem Eröffnungsbeitrag, dass der Un-
terricht auf die „lerntypischen Stärken und Schwächen“ eingehen müsse, da
andernfalls „die Lernchancen von vornherein eingeengt“ seien. In den weite-
ren Beiträgen wird aber deutlich, dass dieses weit verbreitete Credo der ak-
tuellen Schulentwicklung in der Schulpraxis auf viele Probleme trifft.
Thorsten Bohl, Manfred Bönsch,
Matthias Trautmann, Beate Wischer
(Hrsg.)
Binnen-
differenzierung
Teil 1: Didaktische Grundlagen und
Forschungsergebnisse zur Binnendiffe-
renzierung im Unterricht.
Immenhausen bei Kassel (Prolog-Verlag),
2012. ISBN 978-3-934575-59-2,
23,80 Euro.
Zum Weiterlesen
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