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punktlandung2014.1
Selbstverständlichanders
„Das ist doch schwul“ oder „Du Lesbe“ – solcheBeschimpfungen
sind inKlassenzimmernundauf Schulhöfen keine Seltenheit.
Wie können Lehrer_innenmitHomophobieundDiskriminierung
umgehen?Undgehört LSBTI*als Thema indenUnterricht?Wir
habenDr. UlrichKlocke vom Institut für PsychologiederHum-
boldt-Universität zuBerlingefragt. 2012 veröffentlichte er seine
Studie zur „Akzeptanz sexueller Vielfalt anBerliner Schulen“.
punktlandung: „Schwul“ oder „Schwuchtel“ wird von
62 Prozent der Berliner Sechstklässler_innen und von
54 Prozent der Neunt- und Zehntklässler_innen als
Schimpfwort verwendet. So lautet ein Ergebnis Ihrer
Studie. Wissen die Kinder und Jugendlichen, was sie
sagen?Wie homophob sind sie tatsächlich?
Dr. Ulrich Klocke:
Selbst die Sechstklässler_innen wis­
sen mittlerweile fast alle, was „lesbisch“ oder „schwul“
wirklich bedeuten. Dennoch verwenden sie diese Be­
griffe gern zur Beschimpfung. Das spiegelt zwar nicht
unbedingt eine homophobe Einstellung wider, hat aber
dennoch eine homophobeWirkung. Man kann im Expe­
riment zeigen, dass allein die Wahrnehmung von „les­
bisch“ oder „schwul“ als Schimpfworte die Einstellungen
zu Lesben und Schwulen verschlechtert. Zudem tragen
diese Beschimpfungen dazu bei, dass nicht heterosexu­
elle Jugendliche sich nicht trauen, zu ihrer sexuellenOri­
entierung zu stehen und häufiger mit Depressionen und
Suizidgedanken zu kämpfen haben als heterosexuelle
Jugendliche.
Und wie reagieren Lehrer_innen angemessen, wenn
sie solcheBeleidigungenmitbekommen?
Lehrkräfte sollten dis­
kriminierende Beschimp­
fungen
wie
„Spast“,
„Schwuchtel“ oder „Jude“
nicht ignorieren, sondern
thematisieren. Sie können
beispielsweise fragen, wa­
rum diese Begriffe in einer
negativen Weise verwen­
det werden und was so
schlimm daran ist, wenn jemand eine Behinderung hat,
schwul oder jüdischen Glaubens ist. Zudem können sie
versuchen, die Schüler_innen dazu zu bringen, die Per­
spektive eines Mitgliedes der diskriminierten Gruppe
einzunehmen und beispielsweise zu fragen: „Würdest du
dich trauen, zu deiner Liebe zu stehen, wenn du lesbisch
wärst und ‚Lesbe’ dauernd als Schimpfwort hörst?“ Die
Berliner Schulbefragung zeigt: Je häufiger Lehrkräfte ge­
gen homophobes Verhalten intervenieren, desto besser
sind die Einstellungen ihrer Schüler_innen zu Lesben,
Schwulen, Bisexuellen und Trans*-Personen.
SichNormalität undRespekt zu erarbeiten, ist in der
Schule eine täglicheHerausforderung. Beim zehnjährigen
Klassentreffenmeiner vorletztenKlasse als Klassenlehrer
habe ich festgestellt, dass sich die ehemaligen
Schüler_innen genauso selbstverständlich nachmeinem
Partner erkundigt habenwie sie es vermutlich auch bei
einem heterosexuellenKollegen getan hätten.
FrankG. Pohl,
Lehrer
Warum gehört das Thema in den Unterricht? Was ist
das „Lernziel“?
Die Schüler_innen sollten Anderssein und soziale Viel­
falt als etwas Selbstverständliches kennenlernen. Viele
denken bei Vielfalt – oder auch Diversity – nur an die
ethnische Herkunft. Aber auch viele andere Dimensio­
nen sind wichtig und wurden bisher oft vernachlässigt,
beispielsweise Behinderung, Religion, Geschlecht in all
seinen Facetten und eben sexuelle Orientierung. Bisher
sind nicht heterosexuelle Personen in Schulbüchern und
anderen Unterrichtsmaterialien kaum vertreten. Dabei
ist es überhaupt nicht aufwändig, nebenheterosexuellen
auch lesbische oder schwule Paare oder Regenbogenfa­
milien zu zeigen.
Waswissen Lehrer_innenüber LSBTI*?Wiemüssen sie
auf denUmgangmit dem Thema vorbereitetwerden?
Lehrkräfte wissen, dass man zu seiner sexuellen Orien­
tierung nicht verführt werden kann und das Homosexu­
alität keine Krankheit ist. Ausnahmen wie Herr Stängle
mit seiner Petition gegen den Baden-Württemberger
Bildungsplan bestätigen die Regel. Allerdings weiß nur
jede zehnte Lehrkraft, dass Lesben und Schwule ein hö­
heres Suizidrisiko haben. Und fast niemandweiß von les­
bischen, schwulen oder bisexuellen Jugendlichen in der
eigenenKlasse. Es besteht also vor allemdieGefahr, dass
die Lehrkräfte kein Problem sehen und daher der Mei­
nung sind, siemüsstenan ihremVerhaltennichts ändern.
Dabei zeigt die Berliner Befragung, dass Lehrkräfte eine
Reihe von Einflussmöglichkeiten auf Verhalten und Ein­
stellungen ihrer Schüler_innen besitzen. Je häufiger sie
sexuelle
Vielfalt
thematisieren, desto
positivere Einstel­
lun-gen und desto
mehr Wissen haben
ihre Schüler_innen
zu Lesben, Schwu­
len, Bisexuellen und
Trans*-Personen.Ma­
chen sie sich hinge­
gen selbst über sich
nicht
geschlechts­
konform verhaltende
Regenbogenfamilien kommen leider
im schulischenAlltag nur sehr selten
vor, deshalbwerden sie in der Schule
häufig abgewertet. Für einKind zweier
Mütter oder zweier Väter ist es oft ein
Risiko sich zu outen. Auch Eltern gera­
ten immer wieder in Situationen, in de­
nen sie sich erklärenmüssen. Um das
zu ändern, muss der Familienbegriff im
Unterricht weiter gefasst werden.
MartinDankbar,
Lehrer
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