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In Bochum und Hannover sprengten linke
Antifaschisten Lehrveranstaltungen und
outeten KommilitonInnen als Rechtsextre-
mistInnen. An beiden Orten bekundeten die
Lehrenden ihreAblehnunggegenüber denAk-
tionen und gleichzeitig ihre Distanz zu jeder
Form des Rechtsextremismus.
DemokratischePflichten
Zunächst muss eine wichtige Unterschei-
dung vorgenommen werden: Wenn Rechtsex-
tremistInnen sichanUniversitäten zusammen-
schließen (würden), um hochschulpolitisch
aktiv zu werden, ist eine offensive Auseinan-
dersetzung mit dem inhumanen Charakter
dieser Initiative demokratische Pflicht.
In den aktuellen Fällen verhält es sich je-
doch anders: Die geouteten Rechtsextremis-
tInnen studierten unauffällig. Es gab weder
politische Zusammenschlüsse, noch Hinweise
auf diskriminierendeÄußerungenoder gar Be-
drohungenundGewaltvorkommen.Die rechts-
extremenStudentInnen suchtenauchnicht an
ihren StudienortenpolitischdieÖffentlichkeit.
Sienahmen somit lediglich ihrMenschenrecht
auf Bildungwahr.
umgangmit studierendenRechtsextremistinnen
Menschenrechtliche
Herausforderungen
„bildung ist einMenschenrecht“ – so lautet zu recht einealtegewerkschaftliche
Forderung.Menschenrechtegeltenauch für diejenigen, diedieMenschenrechte
mit Füßen treten. Wie schwierig sich der umgangmit solchen Personen gestal­
tet, zeigt sich indenaktuellendebattenumbekennendeRechtsextremistinnen,
dieals Studierende indenHörsälen sitzen.Wie kann einmenschenrechtlichori­
entierter umgangmit ihnen anuniversitätenund Fachhochschulen aussehen?
Mit dem öffentlichen Outing wurde dieses
Recht massiv eingeschränkt. Ein reibungs-
loses Studium scheint kaum möglich, wenn
Fahndungsplakate mit den Fotos der Betrof-
fenen die Flure der Hochschulen zieren. Wer
es jedochmit demMenschenrecht für Bildung
ernstmeint, muss es auch für jene fordern, die
die Menschenrechte bekämpfen und sich so-
mit vom öffentlichen Outing distanzieren, da
es derenMenschenrecht einschränkt.
Ein Kernargument der BefürworterInnen
solcher Aktionen gilt es jedoch zu prüfen: Sie
wollen potenzielle Opfer schützen. Das ist
ehrenwert und trotzdemmuss über die Form
gestritten werden. Die betroffenen Personen
haben sich im Unikontext nichts zuschulden
kommen lassen und es ist zweifelhaft, ob sich
daran etwas geändert hätte. Schließlich hat-
ten die RechtsextremistInnen ein Interesse an
ihrem Studium und wussten, dass Diskrimi-
nierungen oder gar Gewalttaten an Universi-
täten zur vorzeitigen Exmatrikulation führen
können. Rechtsstaatlich ist eine vorauseilende
Bestrafung für eventuell noch zu begehende
Straftaten nicht haltbar.
Prof. dr. dierkborstel
Professor für praxisorientierte
Politikwissenschaften an der
FachhochschuleDortmund und
Vertrauensdozent der Hans-
Böckler-Stiftung
Türenoffenhalten
Zwei andere Wege hätten sich stattdessen
angeboten: VieleUniversitätenund Fachhoch-
schulen verfügen zwar über ein Frühwarnsys-
tem, beispielsweise für sexistische Diskrimi-
nierungen. Rassismus an Hochschulen wird
jedoch oft verschwiegen und ist dennoch
vorhanden. Sinnvoll wären niedrigschwellige,
institutionelle und vertrauenswürdige Anlauf-
stellen für (potenzielle) Opfer rassistischer Dis-
kriminierung. Die Opferperspektive bekäme
so das ihr zustehende Gewicht undOpfer den
Schutz, den siebrauchen, um ihr Recht auf Bil-
dungwahrzunehmen.
Der zweite Weg ist schwieriger und ohne
Erfolgsgarantie: An welchem Ort soll eigent-
lichüber die Ideologie des Rechtsextremismus
mit den studierenden RechtsextremistInnen
gestritten werden, wenn nicht an den Hoch-
schulen? Bildung zielt auf die Entwicklungder
Zukunft.DieBlut- undRassenideendesRechts-
extremismus führen jedoch in eine grausame
Vergangenheit. Das lässt sich in nahezu allen
Fächern offensiv diskutieren. Dazu braucht es
nur etwas Mut der Lehrenden. Streit und Dis-
kurs führen im besten Fall zu intellektuellem
Fortschritt.
Eine weitere Gewerkschaftsforderung war
immer, dassMenschendieMöglichkeit bekom-
men müssen, ihr Leben zu verändern und zu
verbessern. Für RechtsextremistInnen heißt
das, die Tür zum Ausstieg – und der beginnt
mit Zweifeln und Fragen – offen zu halten.
Dierk Borstel
ZumWeiterlesen
Bund demokratischerWissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler (Mithrsg.):
Wissenschaft vonRechts.
Rechte ideologie, Theorie undnetzwerke
anHochschulen
BdWi-Studienheft 9,
ISBN: 978-3-939864-16-5,
Bestellung:
verlag/bestellen
8,- Euro
Vielemögen spontan an prügelndeNazis in sozialen
Brennpunktendenken, wennder Begriff „Rechtsextre-
mismus“ fällt. DieWissenschaft erscheint demgegen-
über alsHort der Bildungundder Humanität – diese
Gegenüberstellung ist trügerisch. Rechtsextremismus
ist fester Bestandteil der Hochschulgeschichte. Im
StudiumwerdengesellschaftlicheMultiplikatorInnen
und MeinungsführerInnen ausgebildet. Die Hoch-
schulen waren immer ein politisch umkämpftes Ge-
lände. Folglich gab und gibt es an ihnen auch orga-
nisiertenWiderstand gegen rechtsextreme Praktiken,
Ideologien und Theorieproduktionen. Das Studien-
heft befasst sichmit den vielen Facettendes Themas
„Wissenschaft von Rechts“: Verschiedene Ansätze
kritischer Wissenschaft werden vorgestellt. Im Fokus
stehen auch wissenschaftlich reflektierte Prävention
und die Möglichkeiten unmittelbaren antifaschisti-
schen Engagements in der Hochschule.
BdWi
Foto: photocase.de/kemai
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