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nds 7/8-2013
Professor Ulrich Battis im Interview
Verfassungswidriges Spargesetz
Die Landesregierung hat am 10. Juli 2013 das Gesetz zur Anpassung der
Dienst- und Versorgungsbezüge in zweiter Lesung beschlossen – trotz Gegen-
wehr der Gewerkschaften, massiver verfassungsrechtlicher Bedenken und einer
Anhörung im Landtag, in der 20 Sachverständige dagegen waren. Der renom-
mierte Verfassungsrechtler Professor Ulrich Battis hat die Rechtmäßigkeit des
vorgelegten Gesetzes geprüft.
nds: Welche rechtlichen Gründe sprechen
gegen den Gesetzentwurf zur Besoldungs-
anpassung 2013 der NRW-Landesregierung?
Ulrich Battis:
Für den Erfolg einer Klage
vor dem Bundesverfassungsgericht gegen ei-
ne nicht amtsangemessene Besoldung ist aus-
schlaggebend, dass die Besoldung „greifbar“
hinter der allgemeinen Wirtschafts- und Ein-
kommensentwicklung zurückbleibt. Ob dies
in Nordrhein-Westfalen jetzt der Fall ist oder
künftig sein wird, kann dahingestellt bleiben.
Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber
keine stichhaltige Begründung für den Aus-
schluss der höheren Besoldungsgruppen von
der Besoldungserhöhung gemacht hat. Der
Gesetzgeber kommt seiner besonderen, vom
Regelfall der Gesetzgebung deutlich abwei-
chenden Begründungspflicht nicht nach. Es
fehlen jegliche spezifische, im Beamtenver-
hältnis – einem Dienst- und Treueverhältnis
– wurzelnde Gründe. Zudem verletzt der gänz-
liche Ausschluss der höheren Besoldungsgrup-
pen den maßgeblichen, vom Leistungsprinzip
geprägten Grundsatz der Ämterhierarchie und
das ihm innewohnende Abstandsgebot.
Wie steht das Bundesverfassungsgericht zur
Alimentationspflicht des Dienstherrn?
Das Alimentationsprinzip gehört zum Kern-
bestand der Strukturprinzipien aus Artikel
33 Absatz 5 Grundgesetz und ist daher vom
Gesetzgeber strikt zu beachten. In Verbindung
mit dem Leistungsprinzip gebietet das Ali-
mentationsprinzip eine aufgaben- und verant-
wortungsbezogene Ämterabstufung und eine
entsprechende Abstufung der Alimentation.
Das Alimentationsprinzip räumt dem Be-
soldungsgesetzgeber bei der Bestimmung
der amtsangemessenen Besoldung einen
weiten Gestaltungsspielraum ein. Gleichzei-
tig begrenzt es diesen jedoch auch wieder
durch seine zuvor genannten Funktionen.
Demnach muss die Alimentation einen amts-
angemessenen Lebenskomfort ermöglichen.
Die Angemessenheit bestimmt sich nach der
Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen
und finanziellen Verhältnisse und ist vom Ge-
setzgeber dynamisch anzupassen.
Ist die Schuldenbremse ein verfassungs-
rechtliches Gegenargument?
Nach Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts steht fest, dass die Finanzlage
der öffentlichen Haushalte nicht als einzige
Rechtfertigung für Besoldungsabsenkungen
herangezogen werden darf. Denn das beson-
dere Treueverhältnis verpflichtet die Beamten
nicht dazu, mehr als andere zur Konsolidie-
rung der öffentlichen Haushalte beizutragen.
Nichts anderes gilt im Hinblick auf die im
Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.
Wenn der Landtag im Rahmen der Ge-
setzesberatung dagegen zu der Auffassung
gelangen sollte, dass die Beamtenbesoldung
bei einer Annahme des Gesetzentwurfs der
Landesregierung – gegebenenfalls teilweise
– von der allgemeinen Entwicklung ausge-
nommen würde, so dürfte dies nur geschehen,
wenn dies durch spezifische, im Beamtenver-
hältnis wurzelnde Gründe gerechtfertigt ist.
Der Finanzminister rechtfertigt das Gesetz
z.B. mit der geringeren Auswirkung der Preis-
steigerungen auf höhere Gehaltsgruppen oder
dem Vergleich mit der schlechteren Bezahlung
der Angestellten. Wie ist das zu werten?
In der nachgeschobenen Begründung des
Gesetzesentwurfs finden sich keinerlei stich-
haltige Gründe, die den geplanten Rechts-
bruch – Ausschluss ab A 13 – rechtfertigen.
Empfehlen Sie eine Klage gegen das Besol-
dungsgesetz?
Unbedingt.
Die Fragen für die nds stellte Ute Lorenz.
Professor Ulrich Battis
Foto: Gleiss Lutz
Aus dem Finanzministerium
Neue Argumente
Nach einer Einführung in die rechtlichen
Grundlagen des Alimentationsprinzips geht
das Papier des Finanzministeriums erstmals
auf den Abwägungsprozess der Landesregie-
rung ein, um ihr Gesetz noch rechtlich was-
serdicht zu machen. Um ein Sonderopfer für
die BeamtInnen handele es sich bei den ge-
planten Einsparungen durch das Besoldungs-
anpassungsgesetz nicht, erklärt das Ministeri-
um. Schließlich werde nicht nur beim Personal
gespart. Auch die angeführten Vergleiche
mit der Nettobezahlung der Angestellten
hinken: Das deutlich geringere Einkommen
der Tarifbeschäftigten – von der GEW in den
Verhandlungen zu L-EGO immer kritisiert –
stellt keinen vernünftigen Vergleichswert dar.
Die angegebenen Gründe für die „soziale
Staffelung“ – Preissteigerung, private Kran-
kenversicherung und Steuerlast – überzeugen
verfassungsrechtlich nicht. Das Fazit des Fi-
nanzministeriums jedoch lautet: „Die gestaf-
felte Übernahme verletzt nach gründlicher
Abwägung sämtlicher Alternativen, unter
Berücksichtigung der allgemeinen wirtschaft-
lichen Entwicklung und unter Wahrung des
Abstandsgebots den Kernbereich des Alimen-
tationsprinzips nicht.“
Ute Lorenz
Klagen gegen das Spargesetz
Keine Eile!
Nachdem das Spargesetz am 10. Juli 2013
beschlossen wurde, wird die GEW die rechtlichen
Schritte für ihre Mitglieder umsetzen: Zunächst
ist die Landesregierung aufgefordert, Musterver-
fahren zuzustimmen, damit nicht jeder klagen
muss. Erst danach ist es sinnvoll, die nächsten
juristischen Schritte einzuleiten. Eile ist noch
nicht geboten, denn die Frist läuft erst am Ende
des Jahres ab.
Die GEW wird zeitnah alle Betroffenen infor-
mieren und Antragsmuster zur Verfügung stel-
len. Die Bildungsgewerkschft begrüßt das von
CDU, FDP und Piraten angedachte Normkon-
trollverfahren, das zu einer schnelleren Rechtssi-
cherheit führen kann.
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