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LESERBRIEFE
Betr.: nds 8-2012, Interview mit
Schulministerin Silvia Löhrmann
Das Interview irritierte uns. Frau Löhrmann
versteckt sich hinter altbekanntem Politjar-
gon und der Interviewer interveniert nicht.
Die Ministerin führt wie andere Politiker
in Regierungsverantwortung Haushaltszwän-
ge an, die die in der Minderheitsregierung
angekündigte sachgerechte Umsetzung der
Inklusion verhindern. Das Wohl der Kinder
und aller Beschäftigten scheint aufgrund
dieser vermeintlichen Zwänge aus dem Blick
geraten zu sein.
Zudem stört uns die Widersprüchlichkeit
bezüglich der Sichtweise auf die Arbeitsver-
hältnisse der Lehrkräfte: Einerseits wird die
Arbeitszeit der Lehrkräfte allgemein an die
der Verwaltungsbeamten angepasst – sie
sollen wie alle anderen Landesbeamten be-
handelt werden. Andererseits stellt der Schul-
bereich eine Sonderregelung bezüglich der
Altersgrenze zum Eintritt in den Ruhestand
dar. „Kontinuität“ und „ein reibungsloser
Schulbetrieb“ können nicht das Maß aller
Dinge sein, um ständig eine Benachteiligung
der Lehrkräfte bezüglich der Arbeitsrechte zu
begründen. Diese Begründung erscheint uns
heuchlerisch.
Zudem will Frau Löhrmann das Dienst-
recht „ausgabenneutral“ optimieren. Wie geht
das? Und welche Auswirkungen hat das für
uns Beschäftigte? Kann man an dieser Stelle
nicht einmal kritisch nachfragen, um GEW-
Positionen deutlich zu machen?
Norbert Heinrichsmeier
Stefanie Neumann
OV Recklinghausen, Herten, Oer-Erkenschwick
Betr.: nds 8-2012, Interview mit
Schulministerin Silvia Löhrmann
Frau Löhrmann verteidigt die Praxis, Leh-
rer erst am Ende des Schulhalbjahres nach
Vollendung der Altersgrenze zu pensionieren
damit, dass „der Schulbetrieb reibungslos
laufen muss" und dass sich die Lehrkräfte
„ihrer Verantwortung bewusst [seien], ihre
Schülerinnen und Schüler bis zum Ende eines
Schuljahres ... zu begleiten." Mit dieser Argu-
mentation könnte man auch fordern, dass
Lehrer prinzipiell erst am Ende des Schul-
JAHRES pensioniert werden. Wenn schon die-
se Ungleichbehandlung gegenüber anderen
Beamten, dann sollte wenigstens – analog
der Kürzungen bei vorzeitigem Ruhestand –
wie bei der Rentenversicherung pro Monat
0,5 Prozent mehr Pension gezahlt werden.
Jörg Linz, OStR, Nideggen
Betr.: nds 9-2012,
Inklusion oder Exklusion?
Uschi Nienhaus-Böhm nennt entschei-
dende bildungspolitische Aspekte, die m. E.
in der bisherigen Diskussion um Inklusion,
wie sie auch in großen Teilen der GEW ge-
führt wird, nicht genügend Berücksichtigung
gefunden haben. Deutlich weist die Autorin
sowohl auf die notwendige Debatte über die
Rahmenbedingungen von Inklusion hin, stellt
andererseits aber auch die Frage nach dem
gesellschaftlichen Hintergrund, vor dem In-
klusion stattfinden soll/wird. Sie zeigt dabei
den eklatanten Widerspruch zwischen gesell-
schaftlicher Exklusion und dem Anspruch auf
schulische Inklusion sehr treffend auf, den
Politiker nur zu gerne ausblenden.
Gleichzeitig könnte die Debatte auch zum
Anlass genommen werden, die im Zuge der
neoliberalen Umstrukturierung von Schule
(Selbstständige Schule, diverse Evaluationsri-
tuale, Umformulierungen von Curricula etc.)
weggefallene Debatte über den Bildungs-
und Erziehungsauftrag von Schule sowie über
Unterrichtsinhalte, die heute völlig beliebig
erscheinen, neu zu initiieren.
Wenn Inklusion wirklich gewollt wird, wenn
jedes Kind wirklich entsprechend seinen geis-
tigen, körperlichen und emotionalen Fähig-
keiten gefördert werden und sich entwickeln
können soll, so wird dies in einem inklusiven
System nicht unbedingt kostengünstig um-
setzbar sein. Die Tatsache, dass die Bundesre-
publik im internationalen Vergleich in Bezug
auf ihre Bildungsausgaben immer noch im un-
teren Bereich liegt, darf in der Debatte nicht
ausgeblendet werden. Für das Gelingen von
Integration oder auch umfassender Inklusion
ist eben nicht nur der gute Wille von Lehrkräf-
ten entscheidend, sondern ganz elementar die
personelle und materielle Ausstattung von
Schule wie Lerngruppengröße, Gestaltung von
Unterrichtsorten und vieles andere.
Die Zauberworte „kooperatives Lernen“
sowie „Individualisierung von Lernprozessen“
erfordern eine kleinschrittige pädagogische
Begleitung durch gut ausgebildete Lehrkräfte.
Welchen Stellenwert dann noch die Evaluie-
rungsmaßnahmen haben können, die Schulen
in den letzten Jahren mehr blind als reflek-
tiert aufgenötigt wurden, an welchen Stellen
feste Zielvorgaben in einem Konzept von
individualisierten Lernprozessen dann noch
eine Berechtigung haben, müsste in diesem
Zusammenhang neu diskutiert werden.
Anne Rathgeber-Everhartz, Odenthal
Betr.: nds 9-2012,
Inklusion oder Exklusion?
Endlich mal ein Bericht, der mir aus der
Seele spricht. Wie viele „schlaue“ Artikel wur-
den nicht inzwischen zum Thema Inklusion
verfasst! Mehr als 20 Jahre Erfahrung zum
„Gemeinsamen Unterricht“ liegen vor, die
GEW hat vor eineinhalb Jahren das Papier des
Landesvorstands „Eckpunkte zum Inklusions-
plan in NRW aus gewerkschaftlicher Sicht“
erarbeitet, also müssten doch eigentlich alle
wissen, wie’s funktioniert. Wenn, ja wenn
denn die Politik nur den pädagogischen Er-
fahrungen und den Rat der Bildungsexperten
folgen und nicht der Versuchung erliegen
würde, einmal mehr den Schulen zusätzliche
Aufgaben – ich würde auch durchaus von
Problemen sprechen – aufzudrücken, ohne
ihnen die dafür erforderlichen Bedingungen
(Klassenfrequenz, Doppelbesetzung) zur Ver-
fügung zu stellen.
Für mich bleibt’s dabei: Inklusion zum
Nulltarif wird nicht gelingen, als Sparmodell
taugt sie nicht.
Übrigens: Aus Niedersachsen ist zu verneh-
men, dass pro Klasse und Woche, ganz gleich
wie viele Kinder mit sonderpädagogischem
Förderbedarf sich darin befinden, zwei „För-
derschul-Stunden“ bereitgestellt werden. Arme
Kinder, arme KollegInnen!
Peter Callegari