26
Arbeitsplatz
DGB/GEW-Fachtagung: Was gibt's Neues am Berufskolleg?
Bruchlose Lernbiographien – Umbau eines Systems
Berufskollegs bieten die Gesamtheit der allgemeinbildenden Schulabschlüsse.
Dies häufig auch doppelqualifizierend kombiniert mit einem Berufsabschluss.
Der Schulkonsens in NRW, der den Weg für die Sekundarschulen geebnet hat,
sieht eine enge Kooperation mit Schulen der Sekundarstufe II vor. Die vielfältigen
Bildungswege, die die Berufskollegs Lernenden unterschiedlicher Bildungsvor-
aussetzungen und Neigungen bieten, eröffnen zahlreiche Möglichkeiten für eine
solche Kooperation – nur sind die Chancen allgemein kaum bekannt. Mit der
Rolle der Berufskollegs in der Schulentwicklung befasste sich die gemeinsame
Fachtagung von DGB und GEW NRW am 13. November 2012 in Düsseldorf.
p us
Materialien zur Fachtagung:
Individuelle Förderung und bruchlose Lern-
biographien beim Übergang in den Beruf und
in die Hochschule erhofft sich
Lothar Herstix,
MSW NRW,
von der Kooperation zwischen Se-
kundarschule und Berufskolleg. Die Sekundar-
schule habe, so Herstix, einen Entwicklungsauf-
trag für alle Lernenden der Sekundarstufe I, sie
soll sowohl auf die Berufsausbildung als auch
auf das Abitur vorbereiten. Als Schulform ohne
eigene Oberstufe muss sie kooperieren. BKs ha-
ben als Kooperationspartner den Charme, dass
sie eine Perspektive für alle bieten, auch für
diejenigen ohne Qualifikationsvermerk für die
gymnasiale Oberstufe. Das System stellt eine
Vielzahl von anschlussfähigen Bildungsange-
boten zur Verfügung, so Uli Steller, GEW NRW.
Sie müssen nur bekannt gemacht werden.
Vernetzung gefragt
Das MSW rechnet damit, dass etwa 70 v.H.
Sekundarschulabsolventen nach ihrem Schulab-
schluss nicht in die gymnasiale Oberstufe ein-
steigen werden. Ein passgenaues Angebot für
diese Jugendlichen zu finden erfordert Vernet-
zung innerhalb der Region. Berufskollegs haben,
darauf wies
GEW-Landesvorsitzende Dorothea
Schäfer
hin, Erfahrung mit Kooperationen.
Auch der demographische Wandel zwingt zur
Kooperation. Wenn die Schülerzahlen sinken,
so Herstix, werden Systeme und Einzelschulen
enger zusammen rücken müssen, sonst kann
die Angebotsvielfalt nicht erhalten werden. Be-
rufskollegs geraten zudem in eine Konkurrenzsi-
tuation mit der Wirtschaft, wenn sie in Schulen
der Sekundarstufe I für ihre Bildungsangebote
werben. Die Verteilungsauseinandersetzungen
um die Jugendlichen werden zunehmen, pro-
gnostiziert
Norbert Wichmann, DGB NRW
.
Die Orientierungshilfe für Schülerinnen und
Schüler soll nach den Planungen des Mini-
steriums für Arbeit, Integration und Soziales
(MAIS) früh starten.
Christopher Godde,
beim
MAIS zuständig für das Großprojekt Umbau des
Übergangssystems, fordert eine gemeinsame
Strategie, die Veränderungen für allgemein-
bildende Schulen und Berufskollegs mit sich
bringt. Auch wenn die sozialpolitische Frage
nach dem Zugang zum Beschäftigungssystem
für Jugendliche mit Startschwierigkeiten breiten
Raum einnimmt, geht die Zielrichtung weiter bis
in den universitären Raum hinein. Der Deutsche
Qualifikationsrahmen steht, so Herstix, kurz vor
dem Abschluss. Ab 2013, spätestens ab 2014
soll die Kompetenzstufe nach DQR auf allen
Zeugnissen außerhalb der allgemeinbildenden
Schulen ausgewiesen sein. Ein Beschluss der
Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2008
verpflichtet Hochschulen, Anknüpfungspunkte
zu benennen, nach denen attestierte Leistungen
aus Berufskollegs auf die Studienlaufbahnen
angerechnet werden können, eine pauschalierte
Anrechnung ist aber noch nicht in Sicht.
Umwege abbauen
Der demographische Wandel wirft seinen
Schatten voraus. Zurzeit befinden sich in NRW
149000 Kinder im ersten Schuljahr. In zehn Jah-
ren, so die Prognosen, werden im dualen Ausbil-
dungssystem 120.000 Plätze zu besetzen sein, da-
zu kommen noch Ausbildungen an Universitäten
und andere Ausbildungsarten. Noch bleiben,
so
Andreas Meyer-Lauber, Vorsitzender des DGB
NRW
, 15 v.H. der Jugendlichen ohne Ausbildung.
Dies wird sich die Gesellschaft künftig nicht mehr
leisten können. Jede Reform wird daran zu mes-
sen sein, ob es gelingt, Umwege auf dem Weg in
den Beruf abzubauen und Abbrecherzahlen – in
welcher Ausbildung auch immer – drastisch zu
reduzieren. Hilfe schaffen soll ein Beratungspro-
zess, der spätestens in Klasse 8 startet. Umfassen
soll das Programm, so Godde, die frühzeitige
Berufs- und Studienorientierung, Hilfen auf dem
Weg zur Ausbildungsreife und die Motivation zur
Bereitstellung von Ausbildungsplätzen. Von exter-
nen Anbietern durchgeführte, und mit 100 Euro
pro Schüler teuer bezahlte, Potenzialanalysen in
Klasse 8 sollen in einen Berufswahlpass münden
und den Einstieg in Berufsfelderkundungen bil-
den. Bezahlen soll die Bundesagentur für Arbeit,
z.T. zahlen die Kommunen selbst. Auswirkungen
auf Abschlüsse oder verpflichtenden Charakter
bei der weiteren Ausbildungslaufbahn sollen die
Ergbnisse des Beratungsbausteins Potenzialana-
lyse nicht haben.
Strittig ist u.a. die Kooperation mit externen
Trägern. Wenn Geld fließt, darauf wies
Fach-
gruppenvorsitzende Anne Ruffert
hin, entwickeln
sich außerschulische Systeme schnell. Weniger
schnell entwickeln sich anerkannte Qualitäts-
standards für die Erfolge der teuer bezahlten
Maßnahmen. Beratung von außen, so Norbert
Wichmann, bietet die Chance, weniger defizi-
torientiert zu sein. Ein Prozess, der an dieser
Stelle die BKs außen vor lässt und die Gelder
in andere Bereiche leitet, wird aber kritisch
begleitet werden müssen.
Sabine Flögel,
nds-Redaktionsmitglied
Lothar Herstix, MSW NRW: „Die Sekundarschule hat
einen Entwicklungsauftrag für alle Lernenden der
Sekundarstufe I.“ (Foto: Werner König)