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THEMA
auch nicht mehr konsequent. Wie auch bei 40
nicht gemachten Hausaufgaben nach zwei
Monaten? Wichtig ist hier festzustellen, dass
unter den gegenwärtigen Bedingungen keine
Weiterentwicklung zu erwarten ist.
Klug wäre, das als Regel zu formulieren,
was ohnehin Tatsache ist: „Lieber Pascal, dei-
ne Hausaufgaben sind freiwillig. Du kannst
sie anfertigen oder nicht. Ich freue mich über
jede erledigte Hausaufgabe und sehe sie ger-
ne nach, akzeptiere aber, wenn du dich ent-
scheidest, sie nicht zu machen.“
Ein mühevoller Weg,
aber: immerhin ein Weg
Diese Veränderung nimmt Pascal das tägli-
che Erlebnis, seine Lehrerin um die Hausauf-
gaben zu betrügen und sie öffnet vor allem ei-
nen Horizont: Pascal ist ein Junge, der mehr
Baustellen hat, als er je erfolgreich bewältigen
kann. Wer Pascal helfen möchte, muss einige
Baustellen schließen und andere verkleinern.
Die Hausaufgabenbaustelle ist nun geschlos-
sen. Die In-der-Schule-arbeiten-Baustelle wird
nun verkleinert, die Anforderungen also redu-
ziert, z.B. auf einen Satz oder eine Rechenauf-
gabe pro Stunde. Diese stark verkleinerte An-
forderung darf die Lehrerin nun mit aller Kon-
sequenz einfordern. Nun kann Pascal erstmals
systematisch die Erfahrung machen, dass er
die Erwartungen seiner Lehrerin erfüllen kann
und dafür gelobt wird. Das ist der Start für sei-
nen Weg zu einem Kind, das in der Schule und
irgendwann vielleicht auch zu Hause arbeitet.
Ein mühevoller Weg – gewiss, aber: immerhin
ein Weg.
Jens Bartnitzky
Diese einfache Faustregel aber gilt nur für
das Ermahnen von Gruppen! Bei der Arbeit
mit einzelnen Kindern hingegen gilt das Prin-
zip der individuellen Förderung.
Jacqueline, Chantal und Pascal
Auch dazu ein Beispiel: Stellen Sie sich vor,
in Ihrer Klasse gilt folgende Regel zu fehlen-
den Hausaufgaben: Wer seine Hausaufgaben
nicht hat, darf sie zum Folgetag nachmachen.
Wenn sie dann noch fehlen, müssen sie
während der Pause nachgearbeitet werden.
Trotz dieser klaren Regel gibt es drei Kinder,
die regelmäßig keine Hausaufgaben machen:
Jacqueline, Chantal und Pascal.
Jacqueline
ist ein pfiffiges Kind. Sie denkt
sich: „Die Lehrerin sagt, ich darf mir aussu-
chen, wann ich meine Hausaufgaben mache.
Entweder heute oder morgen oder übermor-
gen in der Schule.“ Wenn nun die Sonne
scheint, dann verschiebt Jacqueline ihre
Hausaufgaben eben auf morgen. Das berück-
sichtigt exakt die vorgegebene Regel – wenn
auch nicht ihre Intention.
Bemerkenswert ist hier, dass die Regel
Jacqueline förmlich daran hindert, ihre Haus-
aufgaben wie gedacht am ersten Tag anzu-
fertigen, weil andere Dinge attraktiv sind. Ei-
ne geeignete individuelle Modifikation der
Regel könnte so gehen: „Liebe Jacqueline,
wie du weißt, kannst du dir aussuchen, ob du
deine Hausaufgaben heute, morgen oder
übermorgen in der Schule erledigst. Aber ab
morgen musst du zusätzlich eine Extraaufga-
be dazu anfertigen, sozusagen Zinsen auf die
Hausaufgabenschuld zahlen.“
Chantal
ist weniger pfiffig. Sie vergisst es zu
Hause schlicht, in ihr Hausaufgabenheft zu
schauen. Sie sitzt nun irgendwann während der
Hofpause auf dem Flur und erledigt Hausauf-
gaben, die sie vorgestern nicht erledigt hat.
Chantal hat keine Ahnung mehr, was sie vor-
gestern gemacht hat. Das bedeutet: Die Konse-
quenz erreicht Chantal nicht, weil sie keinen Zu-
sammenhang zu ihrem Verhalten herstellen
kann. Optimal wäre, wenn die Lehrerin abends
gegen 18.00 Uhr bei Chantal vorbeikommen
und die Hausaufgaben kontrollieren würde.
Dann könnte sie sagen: „Jetzt kein Fernsehen,
sondern Hausaufgaben nachholen.“ Völlig ver-
ständlich wäre natürlich, wenn sie das nicht tun
möchte. Dennoch bleibt der Zeitpunkt der Kon-
trolle und der Konsequenzverkündung ent-
scheidend. Deshalb sollte die Lehrerin morgens
als erstes Chantals Hausaufgaben kontrollieren
und – falls nötig – eine Konsequenz für densel-
ben Tag ankündigen.
Pascal
schließlich macht nie Hausaufgaben.
Aber Pascal arbeitet auch nie in der Schule. Er
arbeitet überhaupt nicht. Wenn die Lehrerin
ehrlich ist, verfolgt sie Pascals Hausaufgaben
Integrationshelfer in einer ersten Klasse der Regenbogenschule in Moers. Der erhöhte individuelle Einsatz lohnt sich: Die authentischen Beziehungsangebote, die SchülerIn-
nen bekommen, können sie positiv für sich nutzen. Die SchülerInnen können im Unterricht wieder mitarbeiten, erleben sich auch durch Leistungen als selbstwirksam und
zeigen viele ihrer destruktiven Verhaltensweisen nicht mehr.
Fotos: Bert Butzke
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