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nds 3-2012
Aber die Botschaft war klar: „Wenn Sie
nichts Positives an dem Schüler finden, haben
Sie und er keine Chance miteinander.“ Man
muss diese Schülerinnen und Schüler mögen,
wenn man mit ihnen Unterricht machen will.
Es reicht nicht, methodisch perfekt zu sein und
den Medienkoffer gekonnt zu handhaben.
Der Schulaufsicht sind oft
die Hände gebunden
Als Dezernent und später im Schulministe-
rium sah ich wieder anders auf die „schwieri-
gen“ SchülerInnen. Ich spürte den Druck der
Schulen. Ihnen fehlten SozialpädagogInnen.
Die Wartezeit beim schulpsychologischen
Dienst betrug Monate, viele Anträge von
Schulen, alternative Konzepte anzuwenden,
z.B. eine notenfreie Bewertung erproben zu
dürfen, wurden nur selten genehmigt. Chro-
nische Unterbesetzung verhinderte individu-
elle Förderung.
Lehrerinnen und Lehrer äußerten oft, dass
sie sich von der Schulaufsicht allein gelassen
fühlten. Manche Schule half sich mit Anträ-
gen auf Ausschulung: eine Bankrotterklärung
des Systems!
Es musste gespart werden. Das war zwar
volkswirtschaftlicher Unfug, weil jeder Euro,
der hier und heute im Bildungssektor einge-
spart wird, morgen für die Sozialsysteme oder
den Strafvollzug doppelt ausgegeben werden
muss. Aber diesen politischen Entscheidun-
gen steht die Schulaufsicht in aller Regel
machtlos gegenüber. Mich beschäftigten da-
mals unter anderem folgende Fragen: Wie
kann man die Lehrerausbildung verändern,
praxisnäher gestalten? Wie kommt man an
Geld für Supervision? Welchen Fortbildungs-
bedarf haben Schulen?
„Wenn ich endlich mal den Unterricht
machen könnte, den ich geplant habe!“
Heute nun begegnen mir die „schwierigen
Schülerinnen und Schüler“ als Supervisor und
Coach. Lehrerinnen und Lehrer sind oftmals ver-
zweifelt: „Wenn ich doch endlich einmal Ruhe
in meiner Klasse hätte!“ „Wenn Sven doch end-
lich aus der Klasse raus wäre!“ Manchmal wei-
nen sie einfach. Und sie erhoffen gute Rat-
schläge, Tipps, wie sich die Probleme mit den
schwierigen SchülerInnen lösen lassen. Aber ich
weiß, dass es Patentrezepte nicht gibt.
Es geht darum, einen langen Atem zu ha-
ben, authentisch und konsequent den Schüle-
rInnen zu begegnen, Fehler eingestehen zu
können, ihnen Respekt zu zeigen und sie wert-
zuschätzen, sie ernst zu nehmen mit allen Kon-
sequenzen und als LehrerIn dabei auszuhalten,
dass sie manchmal den SchülerInnen als hart
erscheinen.
Wichtig ist, dass Lehrkräfte ein Forum ha-
ben, wo sie sich über Probleme austauschen
können. Im Glücksfall sind dies die Schulleitung
oder KollegInnen. Kollegiale Fallberatungen
oder Supervision sind gute Möglichkeiten zu er-
fahren, dass man nicht ganz allein Probleme
mir schwierigen Schülerinnen und Schülern hat
und dass es Lösungen gibt.
Es wäre notwendig, dass Schulleitungen und
Schulaufsicht diese Möglichkeiten mit Nach-
druck unterstützen. Es gibt auch brauchbare
Bücher. Wenn es um Gewalt in der Schule geht,
sind zwei Bücher von Haim Omer und Arist von
Schlippe hilfreich. Die Autoren betonen in
„Stärke statt Macht“ (Göttingen 2010) und „Au-
torität durch Beziehung“ (Göttingen 2004) ei-
ne deutliche Präsenz der Lehrkraft als eine Vor-
aussetzung zur Gewaltprävention in Schule.
Auch ein Perspektivenwechsel
kann helfen
In der Supervision, in der kollegialen Fallbe-
ratung lernt man im Perspektivenwechsel auch
die Sicht der SchülerInnen kennen. Ihr Handeln
hat eine innere Logik. Wenn ich sie einiger-
maßen verstehe, kann ich besser intervenieren
und Veränderungen anbahnen.
Dabei tut es manchmal gut, sich an die ei-
genen Erziehungsschwierigkeiten zu erinnern.
Wie oft hat mir beim Einfühlen in die Situation
einer Schülerin/eines Schülers geholfen, dass
ich mit 15 wegen schlechten Betragens von der
Schule geflogen bin, dass ich damals sowohl
stolz darauf war, „dass die Typen mich nicht
klein gekriegt haben“, dass ich aber auch allein
war und nur dem Einsatz meines Vaters ver-
danke, dass ich eine andere Schule in NRW be-
suchen durfte. Gerade in schwierigen Situatio-
nen brauchen diese Schülerinnen und Schüler
Menschen, auf die sie sich verlassen können
und die zu einem halten.
Mein Fazit: Nicht die SchülerInnen allein
sind schwierig. Die Erziehungsschwierigkeiten
spielen sich im ganzen System ab. Und dazu
gehört in jedem Fall die Familie, die eigene Bio-
grafie, das System Schule und seine Rahmen-
bedingungen als System im System, die Lehre-
rinnen und Lehrer, die Leistungserwartungen
der Gesellschaft an SchülerInnen, Schule, Aus-
bildung und Studium und die Anforderungen
des Arbeitsmarktes. Weder Supervision noch
kollegiale Fallberatung können das System ver-
ändern. Aber jede Lehrerin/jeder Lehrer kann
sich verändern! Wer sich Hilfe und Unterstüt-
zung holt, hat es einfacher. Und vielleicht än-
dert sich dadurch auch das System – nach und
nach.
Ruppert Heidenreich
Keine Erziehung ohne Beziehung: Man muss diese
Schülerinnen und Schüler mögen, wenn man mit
ihnen Unterricht machen will.
Foto: Bert Butzke
Ruppert Heidenreich
MR i.R., MSW NRW; zuvor
Sonderschullehrer für Erziehungs-
schwierige; derzeitige Arbeits-
felder: Supervision, Coaching,
Moderation, Mediation,
Kommunikations- und Selbst-
erfahrungstrainings
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