nds201402_onlineplus - page 9

9
nds 2-2014
Torsten Bultmann
FGA Hochschule und Forschung
sowie politischer Geschäftsführer
des Bundes demokratischer
Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler
auch den Begriff
der institutionellen
Wissenschaftsfreiheit.
Die Rechtssprechung zum Grundgesetz Ar-
tikel 5 Absatz 3 schwankt daher zwischen
den Polen: Wissenschaftsfreiheit einerseits
definiert als negatives Individualrecht, aber
andererseits auch als Recht kompletter wis-
senschaftlicher Institutionen.
Im Interesse der gesamten Gesellschaft
Eine institutionelle Wissenschaftsfreiheit
ist nur möglich und überhaupt denkbar in
Verbindung mit Verfahren der Willensbildung
und Entscheidungsfindung. Damit ist der Kon-
flikt um die Frage beschrieben, wer an diesen
Verfahren beteiligt werden darf. In einem
konservativen Verständnis ist dies eine Sache,
die ausschließlich ProfessorInnen unter sich re-
geln. Im Zuge der Hochschulreformen seit den
1960er Jahren wurden hier allerdings neue
Forderungen entwickelt, die bis heute immer
wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden.
In der erstmalig 1961 erschienenen Denk-
schrift des Sozialistischen Deutschen
Studentenbundes (SDS) „Hochschule
in der Demokratie“ heißt es etwa:
„Die Unabhängigkeit der Hochschu-
le in Staat und Gesellschaft aber
ist die Voraussetzung ihrer inneren
Demokratisierung – und umgekehrt.
Beides zusammen ermöglicht erst
ihre kritische Funktion gegenüber der
Gesellschaft.“
Neu daran war, dass das Hum-
boldtsche Konzept der Autonomie
der Wissenschaft positiv aufgegrif-
fen – und in dieser Form erstmalig
– mit dem Gedanken der demokrati-
schen Selbstverwaltung in gesell-
schaftlicher Verantwortung gekoppelt
wird. Denn dieser Ansatz wird in der
Denkschrift zugleich definiert als
„Unabhängigkeit vom Staatsapparat
und den herrschenden gesellschaft-
lichen Kräften im Interesse der ge-
samten Gesellschaft“. In dieser
Tradition stehen auch die GEW
und ihr wissenschaftspoli-
tisches Programm.
Klassischer Konflikt
verschoben
Institutionelle Wissenschaftsfreiheit
bedeutet daher zwangsläufig, dass Selbst-
verwaltungsgremien der Hochschule – unab-
hängig vom Grad ihrer Demokratisierung – für
ihre Hochschule durch Mehrheitsbeschlüsse
Ziele definieren können. Möglich ist etwa, sich
zu einer ausschließlich zivilen Forschungspra-
xis im Sinne einer Zivilklausel zu verpflichten.
Sie müssen das nicht, aber sie können es.
Die Ablehnung einer Zivilklausel durch die
LandesrektorInnen unter Berufung auf die
„Wissenschaftsfreiheit“ ist daher abwegig. So
umschifft man bestenfalls – wiederum mit pa-
thetischen und großen Worten – die politische
und wesentlich profanere Debatte, von wem
man bereit ist, Geld anzunehmen.
Schließlich geht es beim Streit um die insti-
tutionellen Konsequenzen der Hochschulauto-
nomie ausschließlich um Beteiligungsrechte
innerhalb der Selbstverwaltungsgremien.
Der klassische Konflikt um die Demokratisie-
rung der Hochschulen verlief in Deutschland
zwischen den ihre privilegierte Entschei-
dungsposition verteidigenden ProfessorInnen
einerseits und den nichtprofessoralen akade-
mischen Statusgruppen – vorrangig wissen-
schaftlicher Mittelbau und Studierende – and-
rerseits. Heute hat sich die Achse des Konflikts
erheblich verschoben.
Garantierte Selbstverwaltung?
Die modifizierte Kontroverse wird ausgetra-
gen zwischen der Behauptung des Anspruchs
auf Selbstverwaltung der Hochschule über-
haupt – und damit auf eine Verteidigung
der Möglichkeit von deren Demokratisierung
– und neuen Hochschulsteuerungskonzepten.
Moderne Konzepte wollen die Entwicklung
der Wissenschaft vor allem auf Markt und
Wettbewerb ausrichten und daher die interne
Hochschulverfassung primär als Top-down-
Management begreifen. Dies entspricht dem
Leitbild der unternehmerischen Hochschu-
le. Ein Leitbild, das mit dem Pinkwartschen
Hochschulfreiheitsgesetz im Jahr 2007 durch-
gesetzt wurde und in dem die traditionellen
Selbstverwaltungsgremien nur noch einen Be-
obachterstatus haben.
Wenn also die RektorInnen, PräsidentInnen
und KanzlerInnen in NRW ihre unternehme-
rischen Exekutivvollmachten, die ihnen das
Hochschulfreiheitsgesetz beschert hat, unter
Berufung auf Freiheit und Autonomie der
Wissenschaft verteidigen, verwechseln sie
Betriebswirtschaft mit Verfassungsrecht. Eine
historisch vorübergehende, technische Art,
Hochschulen zentral zu administrieren, ist im
Unterschied zur garantierten Selbstverwal-
tung der Hochschule grundgesetzlich nicht
geschützt. Die Öffentlichkeit sollte sich von
dieser Rosstäuscherei auch nicht beeindru-
cken lassen.
Torsten Bultmann
p us
Torsten Bultmann: Hochschule
und Demokratie – eine kritische
Bestandsaufnahme
Torsten Bultmann: Freiheit und
Verantwortung der Wissenschaft
Wissenschaftspolitisches
Programm der GEW: Dialog über
die Zukunft von Hochschule und
Forschung
1,2,3,4,5,6,7,8 10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,...40
Powered by FlippingBook