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nds 3-2013
'Ve
TU Dortmund, Zentrum für Hochschul-
bildung: Projekt „Mobile Drop-Outs“
Kompetenzzentrum Frauen in
Wissenschaft und Forschung CEWS im
Leipniz-Institut für Sozialwissenschafte
Netzwerk Frauen- und Geschlechter-
forschung NRW: Gender Report für
Hochschulen in NRW
p us
Antonia Kühn
Referentin Hochschulen,
Wissenschaft und Forschung
DGB NRW
ken, strukturelle Barrieren in den Beschäfti-
gungsverhältnissen, aber auch geschlechts-
spezifisches Karriere-, Bewerbungs- und Re-
krutierungsverhalten. Als ganz wesentliche
strukturelle Hindernisse erweisen sich die
Auswirkungen des 2007 unter der schwarz-
gelben Landesregierung in Kraft getretenen
Hochschulfreiheitsgesetzes in NRW und des
ebenfalls 2007 eingeführten Wissenschafts-
zeitvertragsgesetzes.
Mit dem Hochschulfreiheitsgesetz wurde
das Hochschul-Personal in ein Beschäftigungs-
verhältnis mit der jeweiligen Hochschule über-
führt. Damit standen die Beschäftigten nicht
länger im Landesdienst. Das Wissenschafts-
zeitvertragsgesetz schuf Sonderregelungen für
die Befristung von Arbeitsverhältnissen in
der Wissenschaft. Die Rahmenbedingungen,
unter denen der wissenschaftliche Nachwuchs
in Deutschland wachsen und erfolgreich sein
soll, sind aufgrund dieser Veränderungen häu-
fig geprägt durch langjährige Projektarbeit
auf unsicheren Positionen und mit unabwäg-
barem Karriereverlauf. Acht von zehn Wis-
senschaftlerInnen sind befristet beschäftigt,
die Hälfte davon sogar mit Verträgen, deren
Laufzeit kürzer als ein Jahr ist. Es fehlen Dau-
erstellen für Forschung und Lehre unterhalb
der Professur und Stellen mit kalkulierbaren
Laufbahnaussichten (Tenure Track). Diese vor
allem von der GEW geäußerte Kritik teilt in-
zwischen auch der Wissenschaftsrat.
Immer wieder werden diese unsicheren Be-
schäftigungsbedingungen als größtes struk-
turelles Problem für junge Frauen in der
Wissenschaft genannt. Eine wissenschaftliche
Karriere setzt implizit immer noch eine tra-
ditionelle Rollenaufteilung voraus. Erwartet
wird der männliche Wissenschaftler, der sich
ganz seiner Forschung widmen kann, mit einer
Frau im Hintergrund, die ihm den Rücken von
familiären Fürsorgearbeiten frei hält. In der
Konsequenz verlassen viele Wissenschaftle-
rinnen die Hochschulen. Genauere Untersu-
chungen über die Ursachen des „Drop-Out“
wurden gerade im Rahmen des Projektes „Mo-
bile Drop-Outs“ an der TU Dortmund durch-
geführt. Demnach sind signifikant häufiger
Frauen aus den Universitäten ausgeschieden
als Männer. In der Wissenschaftspolitik wird
vom Phänomen der „leaky pipeline“ gespro-
chen: Hoch qualifizierte Frauen gehen dem
Wissenschaftssystem über alle Fächer und
Qualifikationsstufen verloren.
Instrumente und Maßnahmen
Zur Verwirklichung einer Geschlechterpa-
rität in der Wissenschaft sind zahlreiche Ins-
trumente und Maßnahmen notwendig. Die
Arbeit der Frauen- und Gleichstellungsbeauf-
tragten an den Hochschulen ist inzwischen
anerkannt als wichtige Basis zur Realisierung
einer Gender Equality. Als Erweiterung ist die
Diskussion über Diversity zu verstehen, das
als Management-Konzept Verbreitung in den
Rektoraten findet.
Als eine Maßnahme, die strukturellen Ursa-
chen der Geschlechterungleichheit im Wissen-
schaftssystem zu reduzieren, kann das 2007
ins Leben gerufene Professorinnen-Programm
von Bund und Ländern gezählt werden. Da-
gegen greift die Familienklausel im Wissen-
schaftszeitvertragsgesetz, mit deren Hilfe die
Mehrbelastung aus Qualifizierung, Erwerbs-
tätigkeit und Familienpflichten berücksichtigt
werden sollte, nur in weniger als einem Prozent
aller Arbeitsverträge.
In unterschiedlicher Tiefe bieten die Ver-
fahren zur Qualitätssicherung Chancen, mehr
Geschlechtergerechtigkeit an der Hochschule
durchzusetzen, so z. B. das Hochschulranking
nach Geschlecht durch das CEWS seit 2003,
das Audit „Familiengerechte Hochschule“ seit
2001 oder das „Total-E-Quality-Prädikat“, seit
2001 auf Hochschulen bezogen, und die DFG
Standards seit 2008.
Es gilt Gender und Diversity im Leitbild der
Hochschulen zu verankern und als selbstver-
ständlichen Bestandteil des Studiums zu instal-
lieren. Ganz praktisch bedarf es einer besseren
Kinderbetreuung für studierende Eltern sowie
für Hochschulbeschäftigte mit Kindern.
Ein auch vom Wissenschaftsministerium NRW
stark befürwortetes Instrument ist die Quote
nach Kaskadenmodell. Bei diesem Modell dient
bei der Besetzung von Stellen der Anteil von
Frauen auf der direkt vorhergehenden Qualifika-
tionsstufe als Bezugsgröße. Für jedes Fach – die
Frauenanteile sind sehr unterschiedlich – müssen
Entwicklungsziele gesetzt werden, deren Erreichen
Auswirkungen auf die Mittelverteilung innerhalb
der Hochschule hat. In der aktuellen Diskussion
steht zudem die Forderung nach verbindlichen
Genderkriterien in den Ziel- und Leistungsverein-
barungen (ZLV) mit finanziellen Sanktionen.
Frauennetzwerke, eigens eingerichtete Fe-
male Career Center, Mentoringprogramme
oder Bündnisse stellen genauso wie infor-
melle persönliche Netzwerke wichtige Un-
terstützungssysteme auf dem Weg durch
das Wissenschaftssystem dar. Angesichts der
strukturellen Ursachen der Geschlechterun-
gerechtigkeit ist aber vor allem die gewerk-
schaftliche Organisation unverzichtbar.
Antonia Kühn
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