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nds 7/8-2013
Prof. Dr. Jürgen Weintz
Professor für Kulturpäda-
gogik und Kulturmanage-
ment an der Hochschule
Niederrhein und Vorstands-
mitglied der Akademie
Off-Theater nrw gGmbH
Bildung mit allen Sinnen
Das Theater – das freie wie das öffentlich geförderte, das klassisch-textorientierte wie das
postdramatische – erlebt derzeit eine Art Renaissance. So meldet der Deutsche Bühnenverein
für die vergangene Spielzeit einen sehr deutlichen Besucheranstieg – auch im Bereich des
Kinder- und Jugendtheaters. Diese erfreuliche Entwicklung ist mitunter den vielen theaterpä-
dagogischen Aktivitäten in schulischen und außerschulischen Zusammenhängen geschuldet.
TheaterpädagogInnen sind mittlerweile neben den klassischen Feldern wie dem Theater an
Schulen, in der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit oder in Jugendclubs an Theatern
in ganz unterschiedlichen Kontexten zu finden: zum Beispiel in der Migrationsarbeit, in der
Jugendberufshilfe, in der Gewalt- und Drogenprävention, in Senioren- oder Mehrgenerationen-
projekten, in Obdachlosenbühnen, in JVA-Theatern oder im Bereich der Personalentwicklung.
Auch wenn hier zumeist pädagogische Zielsetzungen wie Persönlichkeitsbildung, Empower-
ment, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit oder Integration im Vordergrund stehen,
verfolgen viele dieser Projekte häufig ehrgeizige künstlerisch-theatrale Ziele. Sie gehen bewusst
den Umweg über die Kunst.
Die jahrtausendealte Faszination des Theaters als „universaler Kunstform“ (Brecht) beruht
auf seinen vielfältigen Ausdrucks- und Darstellungsformen, dem Wechselspiel von Akteur und
Figur, dem Gegensatz von Alltagsrealität und erdachter Bühnenwirklichkeit sowie der direkten
Begegnung mit dem Publikum. Nach Augusto Boal ist das Theater die Kunst, sich selbst zu
betrachten. Dabei halten die Akteure dem Publikum den Spiegel vor und umgekehrt. Vor allem
das eigene Theaterspiel regt – im Schutz einer frei erfundenen Figur – eine aktive Auseinander-
setzung mit sich und der Welt an. Es ermöglicht damit persönliches und soziales Wachstum.
All dies macht sich die Theaterpädagogik und damit auch das Theater in der Schule zunutze:
Nicht nur eigene oder fremde Wahrnehmungen und Erfahrungen können bearbeitet und künst-
lerische Ausdrucksformen erprobt werden. Gleichzeitig eröffnet die Theaterwelt erlebnis- und
handlungsorientierte Zugänge zu allen erdenklichen Fragestellungen. Darüber hinaus werden
soziale Schlüsselkompetenzen wie Wahrnehmungsfähigkeit, Flexibilität, Durchhaltevermögen
sowie Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit gefördert.
Die beiden letzten Jahrzehnte waren nicht nur bedeutsam für die Etablierung des Theater-
spiels oder des Darstellenden Spiels an Schulen. Auch für die Weiterentwicklung der Theaterpä-
dagogik als eigenständige Fachdisziplin, für ihre Verankerung in berufspolitischer Hinsicht und
für die Differenzierung ihrer Methoden zeichnet sich eine positive Entwicklung ab. An Hoch-
schulen und Fachhochschulen entstanden zusätzliche Studiengänge der Theaterpädagogik. Auf
Initiative des Bundesverbandes Theaterpädagogik e. V. (BuT) wurden einheitliche und bundes-
weit anerkannte Richtlinien verabschiedet, nach denen mittlerweile 25 theaterpädagogische
Lehrinstitute und einige Hochschulen in Form von Grundlagen-, Aufbau- und Vollzeitlehrgängen
TheaterpädagogenInnen weiterbilden. So hat allein die theaterpädagogische Akademie Off-
Theater nrw gGmbH in den letzten 15 Jahren mehr als 700 LehrerInnen und PädagogInnen aus
dem gesamten Bundesgebiet sowie dem deutschsprachigen Ausland zu TheaterpädagogInnen
BuT fortgebildet.
Die Bedeutung des Theaterspiels im schulischen Rahmen wird dadurch unterstrichen, dass
mittlerweile in zahlreichen Bundesländern Theater als eigenes Schulfach verankert worden ist.
In diesem Punkt nimmt Nordrhein-Westfalen immer noch eine Sonderstellung ein, da Theater
als Schulfach nur bestimmten Schulformen und Jahrgangsstufen vorbehalten ist. Umso mehr
sind hier die unterrichtsergänzenden Angebote in Form von Projekten oder AGs von Bedeutung.
Es wäre aber zu wünschen, dass auch in NRW das Theater – vielleicht im Verbund mit Tanz und
Performance – innerhalb des Fächerkanons die Stellung erhält, die ihm zusteht.
Jürgen Weintz
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