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Bildung
GEW fordert ersatzlose Kündigung der Kooperationsvereinbarung des MSW mit der Bundeswehr
Lernen für den Frieden geht anders
Beschluss des GEW NRW-Landesvorstandes vom 17. November 2012
„... Veränderungen der Kooperationsvereinbarung reichen aus Sicht der GEW NRW nicht aus.
Die GEW NRW fordert das Schulministerium auf, die Kooperationsvereinbarung mit der Bundes-
wehr zu kündigen.
Nie wieder Krieg — auf Grund dieser objektiven zivilisatorischen Notwendigkeit war erkämpft
worden, dass bis 2003 „Friedenserziehung“ als Aufgabe der Schulen in NRW per Erlass fest-
geschrieben war. Dagegen hat die ehemalige schwarz-gelbe Landesregierung versucht, die
Kriegslegitimation in den Schulen zu verankern, indem sie eine weitreichende Kooperations-
vereinbarung mit der Bundeswehr abgeschlossen hat. Frieden ist keine Option, die man gegebe-
nenfalls auch zur Disposition stellen kann, sondern unbedingt notwendig.
Die politische Bildung — auch in Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik — gehört in
die Hand der dafür ausgebildeten pädagogischen Fachkräfte und nicht in die von Jugendof-
fizieren. Militarismus und autoritäre Strukturen in der Gesellschaft stellen aus Sicht der GEW
ein Problem dar. Rekrutierungsveranstaltungen der Bundeswehr durch Wehrdienstberater im
Unterricht oder Werbeversuche im Rahmen von Berufsorientierungstagen, die bewusst an der
Perspektivlosigkeit der Jugendlichen ansetzen, haben in der Schule nichts zu suchen.
Die GEW NRW setzt sich daher für eine konsequent einseitig antimilitaristische Ausrich-
tung des gesamten Bildungssystems ein. Sie engagiert sich mit den Betroffenen vor Ort gegen
jegliche Kooperationen mit Militär und Rüstungsindustrie. Sie fordert weiterhin den Landtag
von NRW auf, eine Zivilklausel bei der anstehenden Novellierung des Hochschulgesetzes
landesweit festzuschreiben."
Norbert Müller
Stellvertretender
Landesvorsitzender
der GEW NRW
Seit Oktober 2008 gibt es in NRW eine Kooperationsvereinbarung des Schulmi-
nisteriums mit dem Wehrbereichskommando II der Bundeswehr. Dieses Relikt der
schwarz-gelben Regierung, unterzeichnet von der vormaligen Schulministerin Som-
mer, wurde inzwischen bundesweit von sieben weiteren Landesregierungen nach-
vollzogen. Im August 2012 wurde die NRW-Vereinbarung (nach zähen Protesten)
von der rot-grünen Landesregierung modifiziert neu abgeschlossen. Die Neufassung
geht aber aus Sicht der GEW NRW nicht weit genug.
In zahlreichen Veranstaltungen der Friedens-
bewegung und auch im Rahmen einer Land-
tagsanhörung hat die GEW in NRW ihre kritische
Position zur Kooperationsvereinbarung zum Aus-
druck gebracht. „Schule ohne Bundeswehr“, ein
bundesweites Bündnis von Friedensorganisati-
onen, Jugendorganisationen und Schülervertre-
tungen unter Beteiligung der GEW fordert, den
gestärkten Einfluss der Bundeswehr auf die Schu-
len zurückzunehmen. Im Herbst letzten Jahres
fand dies Ausdruck in phantasievollen Aktionen
in zahlreichen Städten.
In einer Zeit, in der die Bundeswehr als Inter-
ventionsarmee agiert und inzwischen Freiwilli-
genarmee mit all ihren Rekrutierungsproblemen
ist, ist eine Kooperationsvereinbarung eindeutig
das falsche Signal. Ex-Verteidigungsminister Jung
hatte für die Kooperationsvereinbarung nach
NRW-Vorbild bei den anderen Landesregierungen
damit geworben, dass es einer aktiven Unterrich-
tung der jungen BürgerInnen bedürfe, „um den
Sinn bewaffneter Auslandseinsätze zu vermitteln“.
Der derzeitige Verteidigungsminister de Maiziere
fordert unverblümt: „Die Mitarbeiter müssen raus
in die Schule, raus in die Sportvereine, und dort
werben." (Tagesspiegel v. 8.6.2011)
Schulische Friedenserziehung sieht anders
aus! Kriegslegitimation hat im Unterricht nichts
zu suchen. Und angesichts der offensichtlichen
Rekrutierungsprobleme für die Freiwilligenarmee
darf die Schule nicht zum Rekrutierungsfeld für
Jugendliche werden, die angesichts schlechter
Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeits-
markt zum letzten Strohhalm greifen.
In diesem Zusammenhang sei an den
„Beutelsbacher Konsens“ von 1976 erinnert,
der bis heute ein unumstrittener Maßstab po-
litischer Bildung ist. Er ist das Ergebnis einer
Konferenz der Landeszentrale für politische
Bildung Baden-Württemberg, bei der sich
1976 Didaktiker unterschiedlicher politischer
und konfessioneller Lager auf Grundsätze
der politischen Bildung an Schulen einigten.
Die drei Grundsätze: Überwältigungsverbot,
Kontroversität und Schülerorientierung zielen
– in der Tradition der Aufklärung – auf die
Mündigkeit der Schülerinnen und Schüler (vgl.
Beutelsbacher Konsens:
.
de/beutelsbacher-konsens.html).
Das NRW-Schulministerium reagierte auf
die Proteste gegen die Kooperationsverein-
barung von 2008 mit einer Modifizierung
der Vereinbarung: Die Einbeziehung der Zen-
tren für Lehrerausbildung entfiel. Die aus-
drückliche Empfehlung, gleichberechtigt auch
Mitglieder von Friedensorganisationen ein-
zuladen, wurde hinzugefügt. Der formulierte
Anspruch auf gleichberechtigten Zugang von
Jugendoffizieren und Friedensorganisationen
bedeutet allerdings längst nicht Gleichheit
der Darstellungsmöglichkeiten und somit Aus-
gewogenheit. Während die Bundeswehr als
steuerfinanzierte Großorganisation mit 94
hauptamtlichen und 300 nebenamtlichen
Jugendoffizieren unterwegs ist und einen
operativen Etat von zig Millionen Euro zur
Verfügung hat, sind die Aktivisten der Frie-
densbewegung ausschließlich ehrenamtlich
tätig. In Sachen Lehreraus- und -fortbildung
hätte man zudem erwarten können, dass das
Ministerium endlich wieder eigene Angebote
in Sachen Friedenserziehung bereitstellt.
Die Neufassung der Kooperationsverein-
barung greift entschieden zu kurz. Der Lan-
desvorstand der GEW hat das Ministerium
deshalb aufgefordert, die Kooperationsverein-
barung ersatzlos zu kündigen (s. Kasten).
Norbert Müller