Das Kürzel „KompAss“ steht für „Kompe-
tenzorientierte Aufgaben für das selbstregu-
lierte sprachliche Lernen im Fach Deutsch
der Grundschule.“ Die Abkürzung signalisiert,
dass hier die ultimative Ausrichtung für den
Unterricht der Zukunft zu finden ist. Ich greife
aus dem barock anmutenden Titel zwei Leitbe-
griffe aktueller Anforderungen an modernen
Unterricht auf:
Kompetenzorientiert
und
selbst-
reguliert
. Es ist zu zeigen, dass der eine Begriff
(kompetenzorientiert) bei KompAss nicht bil-
dungs-, sondern testorientiert ist, und der an-
dere (selbstreguliert) die Fremdbestimmtheit
der Aufgaben zu verschleiern sucht.
Der Unterricht wird testkonform
ausgerichtet
Grundlage der Broschüre sind die Leistungen
der „Kompetenzstufen oder Fähigkeitsniveaus“
im „Modul 1“ (S. 11 ff.). Als Ausweis ihrer wis-
senschaftlichen Dignität gilt die Verwendung bei
den diversen Leistungstests: Sie seien dort „em-
pirisch abgesichert“ (S. 11). Was heißt das aber?
Für die Tests braucht man Aufgabenfor-
mate, die mit Stift und Papier zu bearbeiten
sind. Damit schließen sich wesentliche Kompe-
tenzen aus, wie beim Lesen die Fähigkeit zur
Imagination (also die Entwicklung innerer Vor-
stellungsbilder) oder die Lese-Kommunikation
(sich über Lesemotive und Gelesenes miteinan-
der austauschen, unterschiedliche Sichtweisen
abgleichen). Beim Schreiben ist es nicht besser:
Hier sind nicht testtauglich zum Beispiel freies
Schreiben, Schreibberatung in Schreibgesprä-
chen und Schreibkonferenzen oder das Überar-
beiten eines eigenen Textes.
Dann sollen die Tests sozialnorm-orientiert
ausgewertet werden, das heißt, es müssen Leis-
tungsniveaus konstruiert werden, damit die Ge-
testeten in einer Rangskala platziert werden kön-
nen. In der Sprache der Bildungsingenieure sind
das „Kompetenzstufen“ oder „Fähigkeitsniveaus“.
Diese Niveaus sind, wie einer der beteiligten Wis-
senschaftler einräumt, nicht durch bildungsthe-
oretischen und didaktischen Diskurs vorab erar-
beitet, sondern ganz pragmatisch „nach Sichtung
der testmodellkonformen Aufgaben“ ermittelt
(Bremerich-Vos 2008, S. 7). Leistungen werden
mithin danach definiert, was testbar ist und sie
werden bei der Auswertung in eine Stufenfolge
gebracht, um Rangplätze zu erhalten.
Eine solche lineare Progression ist für einen
modernen Unterricht absurd. Beim Lesen gilt z.B.
als fortgeschrittene Fähigkeit (Fähigkeitsniveau
4): „Die eigenaktive Text-Leser-Interaktion wird
die Regel, es werden eigene Erwartungen an den
Text mit Gelesenem und Vorwissen verknüpft.“ (S.
19). Nichts anderes geschieht beim verständigen
Lesen und das setzt in der Schule bekanntlich mit
dem Schulanfang ein. In einem Unterricht, der
von Anfang an eine Lesekultur entwickelt, in dem
die Kinder in unterschiedlichen Büchern interes-
sebezogen stöbern und lesen können, in dem sie
Wörter und Texte anderer Kinder lesen, werden
solche Kompetenzen von Beginn an gefördert
– und das wird bei den Kindern auch deutlich.
Es sind jedoch die Textqualität und text-imma-
nente Schwierigkeiten, die Kindern zu schaffen
machen: komplexere Wörter, Sätze und Textstruk-
turen, nicht bekannte Sprachbilder, abstrakte
Sprache, wenig Vorwissen oder Interesse und
anderes mehr. Dies aber bleibt unbeachtet.
Nicht anders verhält es sich beim Schreiben.
Auch hier wird eine lineare Stufigkeit unter-
BILDUNG
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stellt, die so nicht zutrifft. Da gelten kreatives
oder gar epistemisches Schreiben (Schreiben als
Medium der Gedankenerzeugung) als Stufen
höherer Schreibentwicklung (Fähigkeitsniveau 5):
„Originelle, auch literarische Gestaltungen sind
möglich… Epistemisches Schreiben ist in die-
sem Alter noch nicht oder nur kaum entwickelt
…“ (S. 23). Das alles mag bei traditionellem
Aufsatzunterricht so sein, bei dem Kinder z. B.
keine Gedichte schreiben und die Erörterung erst
späteren Schuljahren zugewiesen wird. Kreatives
Schreiben, poetisches Schreiben von Gedichten
(Elfchen, Haikus), Parallelgeschichten (eigene
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Die neueste Handreichung für das Fach Deutsch der Grundschule zeigt, wohin
nach Meinung der Bildungsingenieure im Schulministerium die didaktische Reise
gehen soll: nicht zu besserer Bildung sondern zu besseren Testergebnissen – bei
VERA und IGLU und auch beim Länderranking.
„KompAss“ – Handreichung für einen testkonformen und fremdgeleiteten Unterricht
Ein Signal, wohin die didaktische Reise gehen soll
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