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MSW goutiert verharmlosende Werbung für die Bundeswehr
Geeignetes Unterrichtsmaterial?
Bildung
Bernhard Trautvetter
Studiendirektor und Sprecher
des Essener Friedensforums
„Schule NRW“, Ausgabe 08/2012, hat unter der Rubrik „Unterrichtspraxis“ für Lern-
material geworben, das Lehrkräften kostenfrei für den Unterricht zum Thema „Frie-
den und Sicherheit" zur Verfügung steht. Die Werbung funktioniert so: Illustriert wird
mit dem Bild eines Kindes, das einem Soldaten dankbar zulächelt, an dessen Arm
es sich hochzieht. Wird die angegebene Website geöffnet, ist man mit drei weiteren
Klicks auf der „Karriereseite" der Bundeswehr. Auf dem Link dort hin lächelt eine net-
te Frau in die Augen des Nutzers. Davor ist ein Link zu einer Seite „Posttraumatisches
Belastungssyndrom (PTBS): Schnelle Hilfe“. So einfach soll das alles sein?
Schnelle Hilfe?
Der Hinweis auf die „schnelle Hilfe" erzeugt
einen falscher Eindruck. Denn die Bundes-
wehrpsychiatrie ist oft nur zur Hälfte besetzt.
Betroffene, die dringend Hilfe benötigen,
müssen z.T. wochenlang auf den Beginn einer
Therapie warten (Der Spiegel, 22. Juni 2010).
Welche Ausmaße die Not der SoldatInnen und
die Gefahr der Verharmlosung angenommen
haben, wird auch daran deutlich, dass zum
Beispiel in der US-Armee mehr Soldaten an
Suizid infolge von Depressionen/PTBS ster-
ben als in Kampfhandlungen (wikinews.org).
Die Veröffentlichung ohne Warnhinweise in
„Schule NRW" ist nicht akzeptabel. Auf einen
entsprechenden Hinweis an das Schulministe-
rium kam die Antwort, dass der zuständige
Fachausschuss die Materialien als „‚geeignet"
eingestuft habe. Weiter heißt es, man könne
nicht vermeiden, dass Links im Internet auf
Werbeseiten führten. „In letzter Konsequenz“
müsste man, um das zu vermeiden, „auf
Informationen im Netz ganz verzichten. Das
Material der Stiftung Jugend+Bildung, (...) ist
für die Schulen auf jeden Fall hilfreich.“
Falsche Erwartungen
Der letzte Punkt in der Antwort mutet wie ei-
ne Beschwichtigung an. Es gibt natürlich Links,
die die Fürsorgepflicht gegenüber Schutzbe-
fohlenen nicht verletzen. Ein Link aber, der ein
Beitrag dazu sein kann, dass jemand geblendet
in sein Unglück läuft, der verstößt gegen den
Beutelsbacher Konsens (Überwältigungsver-
bot). Die manipulative Falschinformation der
Bundeswehr erreicht den gutgläubigen Surfer
unvorbereitet. Weil er ein Lockangebot für bare
Münze nimmt, fällt er – ohne Korrektivmög-
lichkeiten – auf die Werbung herein. Auf diese
Kritik ging das Schulministerium nicht ein.
Daran zeigt sich, dass die Kooperations-
vereinbarung des Schulministeriums und der
Bundeswehr eine Veröffentlichungs- und Un-
terrichtspraxis bedingen kann, in der es an
Umsicht mangelt. Diese Praxis sollte nicht
fortgeführt werden. Ebenso bedenklich ist,
wie der Fachausschuss zu der Bewertung „ge-
eignet" kommen kann bei Material, das das
Kontroversitätsgebot des Beutelsbacher Kon-
senses eindeutig verletzt.
Bernhard Trautvetter
Auf-Gelesen
Machen wir uns nichts vor: Trotz
mancher Erfolge sind die Integrations-
probleme in unserem Land nach wie vor
riesengroß. Schuldige gibt es auf beiden
Seiten. Dazu erscheinen gerade zwei
Bücher, die das deutlich machen:
u
Mojtaba, Masoud und Milad Sadi-
nam „Unerwünscht – Drei Brüder
aus dem Iran erzählen ihre deut-
sche Geschichte“ (Berlin Verlag)
und
u
Heinz Buschkowki „Neukölln ist
überall“ (Ullstein Verlag).
„Die deutsche Bürokratie verhindert
Integration.“ So die Erfahrung eines der
drei iranischen Brüder (NRZ vom 20.
September 2012), die vor sechs Jahren
mit ihrer Mutter nach Deutschland ka-
men, inzwischen in Frankfurt studieren
und promovieren wollen.
In der ZEIT, ebenfalls vom 20. Sep-
tember, fordert der Bezirksbürgermeis-
ter von Neukölln: „Toleranz und Akzep-
tanz der Gesellschaft für neue kulturelle
Einflüsse. Aber auch Akzeptanz der
Einwanderer gegenüber der Kultur, in
die sie sich freiwillig begeben haben.“
Buschkowski, alles andere als ein
„Sarrazin light“, scheut sich in dem
(lesenswerten!) Interview nicht, auch
seinem Parteifreund und Regierenden
Berliner Bürgermeister gegenüber deut-
lich Stellung zu beziehen. Besorgt über
„Integrationsverweigerer und Rassisten
zweier Sorten“ macht er klar: „Auch
Integrationspolitik kommt ohne Sank-
tionen nicht aus. Falschparken wiegt
bei uns schwerer als Schulschwänzen...
Ich möchte, dass die Einwanderer die
Kulturriten und die Regeln des Zusam-
menlebens dieses Landes respektieren.“
Integration wird nur dann gelingen,
wenn beide Seiten aufeinander zuge-
hen und nicht mehr offensichtliche
Minderheiten – auf beiden Seiten! –
das Bild prägen und den Ton angeben.
Karl-Heinz Platte
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