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punktlandung: Unser Konsumverhalten hat sich in den
letzten Jahren verändert. Moral und Verantwortung
spielen für viele eine immer größere Rolle. Warum?
Imke Schmidt:
Das liegt zum einen an der zunehmenden
Berichterstattung über Klimawandel und Finanzkrise,
über Lebensmittelskandale oder schockierende Zustän-
de in Textilfabriken. Den Menschen wird immer mehr
bewusst, dass im System etwas schief läuft und dass
ihr eigenes Konsumverhalten mit diesen Umständen in
Verbindung steht. Es geht nämlich um die Kleidung, die
sie täglich tragen, um die Lebensmittel, die sie täglich zu
sich nehmen.
Z
um anderen trägt der verstärkte Austausch, den vor
allem die neuen Medien möglich machen, zu dieser Be-
wusstseinsänderung bei. Plattformen wie utopia.de ma-
chen Wissen und Informationen für jeden Verbraucher
zugänglich.
Wo tritt das veränderte Bewusstsein zutage?
E
s lässt sich am wachsenden Konsum von von ökologisch
und fair hergestellten Produkten ablesen. Gleichzeitig
entstehen neue Formen des Zusammen-Wirtschaftens:
„Marke Eigenbau“ steht wieder hoch im Kurs. In Stadt-
gärten wie den Prinzessinnengärten in Berlin-Kreuzberg
bauen Menschen gemeinsam mitten in der Stadt ihr eige-
nes Gemüse an. Solche Bewegungen brechen an immer
mehr Stellen hervor und zeigen, dass Menschen nach
Alternativen suchen, um sich selbst mit den alltäglichen
Konsumprodukten zu versorgen.
Ich bin doch nur ein kleines Rädchen und schuld sind sowieso immer die anderen? Zum Glück
legen immer mehr VerbraucherInnen diese Haltung ab. Sie wissen: Gemeinsam können wir
das System Wirtschaft positiv beeinflussen! Wir haben Imke Schmidt vom Center for Respon-
sibility Research gefragt, was es mit der Verantwortung der Verbraucher auf sich hat.
Einer für alle!
punktlandung 2012.2
Ist Bio nur ein kurzfristiger Trend? Oder bewegen wir
uns tatsächlich hin zu einer stabilen Verbraucher-
demokratie?
W
enn man unter Verbraucherdemokratie versteht, dass
Verbraucher eine stärkere Stimme und mehr Einfluss be-
kommen, dann ist das auf keinen Fall eine bloße Modeer-
scheinung. Im Gegenteil: Die systemkritische Verbraucher-
bewegung, mit der wir es heute zu tun haben, ist eine
Weiterentwicklung der Ökobewegung der sechziger Jah-
re. Die neuen Medien geben ihr zusätzlich immensen
Auftrieb.
Worin besteht eigentlich genau die Verantwortung des
Verbrauchers? Ist es damit getan, im Supermarkt eher
zu Produkten aus der Region zu greifen? Reicht es aus,
bei Textilien auf das Herstellungsland zu achten?
D
as sind wichtige, erste Schritte, die Konsumenten auf
dem Weg zu ihrer Verantwortung gehen. Mit der Aus-
wahl der Produkte senden sie Signale und übernehmen
damit tatsächlich Verantwortung für das gesamte Wirt-
schaftssystem.
V
erbraucherverantwortung fängt aber schon viel früher
an, nämlich mit der Überlegung, was ich kaufe und ob ich
überhaupt etwas kaufe. Daneben gibt es größere Stell-
schrauben, die mit dem generellen Lebenswandel zu tun
haben: Kann ich in der Nähe meines Arbeitsplatzes woh-
nen, damit ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren kann?
Brauche ich überhaupt ein Auto?
V
erantwortung von Verbrauchern kann auch heißen, ak-
tiv gegen bestimmte Unternehmenspraktiken zu protes-
tieren, sich für bestimmte Standards einzusetzen. Konsum
ist politisch. Deshalb geht es letztlich darum, das System
zu hinterfragen und es zu verändern, indem man selbst
politisch aktiv wird.
„Am Markt“ ist der Konsument nur eine von vielen
Größen. Was kann sein Verhalten bewirken?
N
atürlich bewirkt ein einzelner Konsument sehr wenig.
Ob einer allein mehr oder weniger Auto fährt, wird das
Klima weder zerstören noch retten. Für viele folgt daraus:
Dann trage ich auch keine Verantwortung.
W
ir haben es hier aber mit kollektiver Verantwortung zu
tun. Das heißt: Die schädlichen Effekte entstehen erst da-
durch, dass viele Menschen zusammen sehr ähnlich han-
deln. Ebenso verhält es sich mit positiven Veränderungen.
2
pluspunkt
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