25
nds 10-2012
Manfred Spitzer
Digitale Demenz
Wie wir uns und unsere Kinder um
den Verstand bringen
Droemer Verlag München 2012; 19,99 Euro;
ISBN 978-3-426-27603-7
„Computer fördern nicht die Bildung der jun-
gen Menschen, sondern verhindern sie eher.“
„Bildschirmmedien schaden dem Einfühlungs-
vermögen und den sozialen Fähigkeiten und
Fertigkeiten.“
Auf diese beiden Thesen lässt sich – sicher
sehr vereinfacht – der Inhalt dieses Buches
zusammenfassen. Auf fast 400 Seiten belegt
Spitzer engagiert und mit einer imponierenden
Vielzahl von Hinweisen auf wissenschaftliche
Untersuchungen seine Thesen. Er tut das mit
Sorgfalt, brilliant formuliert und – jedenfalls für
mich – sehr überzeugend. Natürlich wundert es
nicht, dass der Autor mit seinem Plädoyer auf
beinharten Widerstand stößt, schließlich geht es
bei der Hard- und Software-Produktion, auch bei
der für Kinder und Jugendliche, um ein Milliar-
dengeschäft. Kein Wunder also, dass auch aner-
kannte Gutachter mit allen Mitteln und in allen
Medien zum (honorierten?) Gegenangriff blasen.
Die Politik verschließt, parteiübergreifend,
vor allen Gefahren die Augen; Ministerien
zeichnen gewaltverherrlichende Computerspie-
le aus und natürlich stimmen auch Vertreter der
Kirchen in das digitale Loblied ein. Auch DER
SPIEGEL (37/12) qualifiziert den geachteten
Hirnforscher als „Krawall-Psychiater“ ab, der
mit seiner „Niedergangsthese ... schwadroniert“.
Spitzer, selbstverständlich Computer-(Be-)
Nutzer, geht es gar nicht darum, die digitalen
Medien zu bekämpfen, zu verteufeln oder gar
abzuschaffen; er warnt aber vor deren nega-
tiven Einfluss auf Kinder und Jugendliche, vor
ihrem Suchtpotenzial und vor den vielen schä-
digenden Einwirkungen auf Geist und Körper.
Seine Begründungen leuchten ein. Wer mit
Kindern oder Jugendlichen zu tun hat, wird
das Buch jedenfalls mit Gewinn lesen.
Karl-Heinz Platte
Joseph Stiglitz
Preis der Ungleichheit
Wie die Spaltung der Gesellschaft
unsere Zukunft bedroht
Siedler Verlag 2012; 24,99 Euro
Der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht
der Bundesregierung liefert die neuesten Zahlen
zur Wohlstandsverteilung in Deutschland, zur
Lohnentwicklung und den verschiedenen Be-
schäftigungsverhältnissen. Die Schere zwischen
Arm und Reich wird größer.
Stiglitz beschreibt, dass die weltweite Un-
gleichheit Wirtschaft und Wachstum behindert,
zu weniger Chancengerechtigkeit führt und Po-
litik und Justiz korrumpiert. Er ruft deshalb auf,
die Ungleichheit nicht einfach hinzunehmen.
Die weltweiten Demonstrationen prangern die
zunehmende Menschenverachtung an und ma-
chen Druck für eine gerechtere Verteilung.
Se
Canan und Ibrahim Turhan
Junge Muslime in der Schule
Probleme und Lösungsansätze im
interkulturellen Dialog
Tectum Verlag 2011; 142 Seiten;
ISBN 978-3-8288-2605-2
Der Islam gehört zu Deutschland. Das sagte
nicht nur Bundespräsident Wulff, das sieht man
auch täglich in Deutschlands Klassenzimmern.
Vermehrt sehen sich LehrerInnen einer wach-
senden Zahl muslimischer Kinder und Jugend-
licher gegenüber. Die AutorInnen bündeln Er-
fahrungen von Lehrkräften, PädagogInnen und
muslimischen MigrantInnen in einer sachlichen
Auseinandersetzung über Schwierigkeiten im
Schulalltag. Darüber hinaus definieren sie zen-
trale Begriffe wie Kultur, Religion und Ethni-
zität und wenden diese auf die Themenfelder
Integration, Identität und Erziehung an. Daraus
erwachsen Handlungsoptionen und praktische
Tipps für den Schulalltag und die interkulturelle
Elternarbeit.
Se
Hartmut König
Strukturwandel Bildung
Eine kritische Zeitdiagnose
Verlag Barbara Budrich; 337 Seiten;
ISBN 978-3-8474-0041-1; 36,00 Euro
Auf PISA folgte ein Strukturwechsel im Bil-
dungssystem, der das Lernen und den Sinn der
Bildung grundlegend umgekrempelt hat. König
zeichnet aus kritisch-zeitdiagnostischer Sicht das
erste Jahrzehnt dieser „Bildungsreform" nach.
Sein Buch bietet den Nutzern Orientierungshilfen
für ein Navigieren zwischen bildungspolitischen
Erwartungen und pädagogischen Optionen in
Schulen und Hochschulen. Zentrale Stichworte
sind: Zweigliedrigkeit und Ganztagsbildung, Kom-
petenz und Bildung, Bildungsstandards und Schul-
inspektion, Evaluation und Qualitätsverständnis.
König beschreibt die ambivalenten Wirkungen
und Folgen des Strukturwandels. Er geht dabei
davon aus, dass die Instrumente der schrittweise
implementierten sog. Qualitätssicherungssysteme
geprägt sind von der Vorstellung organisierbarer
pädagogischer Rationalität. Der dahinter stehen-
de ökonomisch orientierte Herstellungsimperativ
von Bildung geht auf die Annahme zurück,
Lernen könnte über Standardisierung schulischer
Leistungsanforderung steuerbar und überprüfbar
gemacht werden, was zu einer Verbesserung der
Qualität der Unterrichts- und Schulentwicklung
führen werde.
Die Korrespondenz von theoriegeleiteten und
anwendungsbezogenen Wechselwirkungen bildet
den roten Faden des Buches. Der Autor bezieht
sich auf das Schulsystem in Niedersachsen, sei-
ne Beschreibungen sind jedoch exemplarisch und
gut übertragbar. Eine gründliche, erhellende und
umsichtige Analyse. Lesenswert für Bildungsar-
beiterInnen, die ihre pädagogische Arbeit auch im
gesellschaftspolitischen Kontext bewerten.
Se