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Bildung
mit lehrersprache präventivwirken
VonKindern, die nicht arbeitenwollen
frau Sonnenschein gibt der Klasse einen Arbeitsauftrag: immathematikbuch
soll eine reihe von20Aufgabengerechnet werden. nochwährend sie dies tut,
weiß sie, dass melissa keine lust hat. melissa kann diese Aufgaben durchaus
lösen. Aber sie tut esnicht gern. eineSituation,wie sie jede lehrkraft schonein-
mal erlebt hat: Wie können lehrende mit lustlosen lernenden umgehen? Jens
Bartnitzky gibt Tipps für die praxis!
Mit Lob kanndie LehrerinMelissa einen Teil
ihres Widerwillens nehmen. Gleichwohl: Wenn
sie jetzt geht, stellt Melissa ihre Bemühungen
wieder ein. Das Lob ist bereits kassiert, warum
also weitermachen? Wenn Melissa aber das
eineLobgenossenhat, dann freut sie sichauch
über mehr Lob. Frau Sonnenschein müsste ihr
alsoweiteres Lob inAussicht stellen.
3.Weiteres Lob inAussicht stellen
Frau Sonnenschein sagt nachAbschluss der
zweiten Aufgabe: „Du kannst das ja richtig
gut! Ichmuss jetzt einmal bei denanderenKin-
dern schauen. Gleich komme ich wieder und
dann zeigst dumir, was dugeschafft hast, ja?“
Melissa fühlt sich ermutigt und geliebt
und ist verlockt weiterzurechnen. Zumindest
ein bisschen, damit ihre Lehrerin nicht ent-
täuscht ist, wenn sie wiederkommt. Sie rech-
net die Aufgaben drei und vier. Dann stellt
sie fest, dass Frau Sonnenschein noch weit
entfernt ist undwirft ihr einen vorwurfsvollen
Blick zu, der sagt: „Du hast mir versprochen,
dassdubaldwiederkommst.Wobleibst du?!“
4. Nickenund lächeln
Frau Sonnenschein fängt Melissas Blick
auf, lächelt sie an, nickt ihr freundlich zu und
versucht, mit ihrem Blick zu signalisieren: „Du
hast schongroßartiggerechnet!Halt nochein
bisschen aus! Ich freue mich schon darauf,
deineArbeit anzusehen!“
Melissa ist etwas besänftigt, lächelt zurück
und rechnet Aufgabe fünf und sechs. Als ihre
Lehrerin danach immer noch nicht zurück ist,
legt sie den Stift wieder hin, nimmt das Ma-
thematikbuch und blättert gelangweilt darin.
5. „Was ist jetzt deineAufgabe?“
Als Frau Sonnenschein wieder zu Melissa
kommt, trifft sie sie im Buch blätternd an. Sie
stellt sich schräg vor Melissa, legt den Kopf
schief, betrachtet sie einenMoment und fragt
dann freundlich: „Was ist denn jetzt deine
Aufgabe?“ Melissa überlegt ein wenig und
schlägt dann vor: „Rechnen?“ Frau Sonnen-
schein strahlt und antwortet: „Genau! Dann
machdasmal!“ Sie schautmitMelissa zusam-
men die bereits erledigten Aufgaben an und
lobt ausführlich. Melissa bearbeitet Aufgabe
sieben und acht.
DieAntwort auf die Frage, was dieAufgabe
sei, ist so offenkundig, dass eine leichte Ironie
mitschwingt. Dies versteht auch Melissa, die
erst überlegt und dann die Antwort mit Frage-
zeichen vorbringt, alswäre sie sich selbst nicht
1. Nähegeben
Während Frau Sonnenschein den Arbeits-
auftrag formuliert, stellt sie sich nebenMelis-
sa und überblickt von dort aus die Klasse.
Melissa fühlt sich von ihrer Lehrerin über-
wacht und genötigt, einen Arbeitsbeginn zu-
mindest vorzutäuschen. Widerwillig nimmt
sie den Stift zur Hand und schreibt die erste
Zahl ...
Natürlich ist es schade, dass Melissas Start
in diesem Falle widerwillig erfolgt. Aber im-
merhin: Er erfolgt. Das Gute amArbeitsbeginn
– und sei es ein vorgetäuschter: Die Lehrerin
kannMelissa dafür loben!
2. Loben
Frau Sonnenschein gibt vor, dass sie erst
jetzt wahrnimmt, was Melissa tut, schenkt ihr
ein strahlendes Lächelnund sagt: „Duhast so-
fort angefangen!Wie schön!“
UndMelissa freut sich und denkt sich, dass
es gar nicht so schlecht war, gleich zu starten,
und rechnet die ersteAufgabe zu Ende.
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