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nds 5-2014
DieBedürfnissederMenschen
indenMittelpunkt stellen
Knut Giesler,
Bezirksleiter der IGMetall
Nordrhein-Westfalen
Foto: Thomas Range
Fast auf den Tag genau 30 Jahre ist es her, dass die IGMetall in einem Arbeitskampf die
35-Stunden-Woche für die westdeutsche Metall- und Elektroindustrie durchgesetzt hat. Diese
Verkürzungder regelmäßigenWochenarbeitszeitwar einErfolg. Siehatmehrerehunderttausend
Stellen gesichert. Wie wird die 35-Stunden-Woche heute in den Betrieben umgesetzt? Das war
eineder Fragen, diedie IGMetall im vergangenen Jahr in einer großenBeschäftigtenbefragung
gestellt hat. Mehr als eine halbeMillionMenschen hat sich daran beteiligt.
Diskrepanz zwischen vereinbarter und tatsächlicherArbeitszeit
Etwasmehr als dieHälfte der Befragten hat eine tarifvertraglich vereinbarteWochenarbeits-
zeit von 35 Stunden; für 40 Prozent ist sie länger. Auffällig ist die Diskrepanz zwischen den
vereinbarten, den tatsächlichen und den gewünschten Arbeitszeiten: Ein Drittel der Befragten
arbeitet 35 Stunden in der Woche, fast alle anderen arbeiten länger. Viele Beschäftigte wün-
schen sich, kürzer zuarbeitenals vertraglich vereinbart oder vomArbeitgeber gefordert. Eineder
Ursachen für das Auseinanderlaufen der vereinbarten und der tatsächlichenArbeitszeiten liegt
in der zunehmenden Entgrenzung der Arbeit. Laptops und Smartphones machen es möglich,
dass Beschäftigte praktisch sieben Tage dieWoche rundumdieUhr erreichbar sind. Jede bezie-
hungsweise jeder achte Beschäftigte sieht sich damit konfrontiert.
EineetwasüberraschendeErkenntnis:DieBeschäftigten sindnicht generell gegenFlexibilisie-
rung. Sie wollen allerdings Gegenleistungen: verbindliche Vereinbarungen zur Beschäftigungs-
sicherung (93 Prozent), Ausgleich durch Entgeltzuschläge (88 Prozent) und ausreichend lange
Ankündigungsfristen (88Prozent). Fast alle sagen: Flexibilität darf keine Einbahnstraße zuguns-
ten der Unternehmen sein. Es muss im Gegenzug eben auch möglich sein, kurzfristig Freizeit
nehmen zu können, wennman selbst dasmöchte.
In vielen Unternehmen wird (zusätzliche) Arbeit geleistet, ohne dass sie vergolten wird. Ar-
beitszeitkontenwerden gekappt, in vielen Betriebenwird Arbeitszeit erst gar nicht erfasst, zum
Beispiel im Rahmen der sogenannten Vertrauensarbeitszeit. Unser Ziel muss sein, dass Arbeits-
zeit vollständig erfasst und vergütet wird.
Weichen stellen für eineguteArbeitszeitpolitik
Wir diskutieren in den kommenden Monaten weiter darüber, wie sich diese Wünsche der
Beschäftigten in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen umsetzen lassen. Dabei geht es
erst einmal darum, Themen einzugrenzen, nicht auszugrenzen. Wir müssenmiteinander heraus-
finden:WelcheBaustellen können kurzfristig angegangenwerden?Welche sindnurmittelfristig
lösbar? Und für welche ist ein ganz langer Atem nötig? Diese Fragen erörtern wir jetzt in den
Tarifkommissionen, auf regionalen Veranstaltungen und einer bundesweiten Betriebsrätekonfe-
renz am 20. Mai 2014 in Frankfurt amMain. Die IGMetall stellt sich einer Grundsatzdebatte
darüber, wie sie ihreArbeitszeitpolitik gestaltenwill. Auf demDebattenzettel stehen die zentra-
len Themen: Arbeitszeitflexibilisierung, Lang- undKurzfristkonten sowieArbeitszeitverkürzung.
Mit dieser breiten Diskussion bleiben wir auch weiter mit denen im Gespräch, die sich an
der Beschäftigtenbefragung beteiligt haben. Immerhin rund einDrittel der Teilnehmendenwar
(noch) nicht Mitglied der IGMetall. Wir laden sie zumDialog ein, sodass im Zuge der weiteren
DiskussionneueMitglieder zuuns kommenkönnenundwir noch stärkerwerden, umdiegemein-
sam erarbeiteten Ziele auch durchzusetzen.
Knut Giesler