Stadt-Zeitung01/2017
GEW StadtverbandDüsseldorf
Im „Club Atlético“ wurden ungefähr
1.500 Personen festgehalten, und bis
jetzt sindnur59Überlebendebekannt.
Ich bin eine von ihnen. Ich habe mich
lange Zeit gefragt:Warum ich?Warum
bin ich am Lebenunddie anderen sind
nicht mehr da? Trotz dieser Schuldge-
fühle und Ängste war ich nachmeiner
Freilassung im Widerstand im Unter-
grund aktiv. Viele Menschenrechtsor-
ganisationen sindentstanden:DieMüt-
ter der Plaza deMayo, H.I.J.O.S., Perez
Esquivel wurde Nobelpreisträger.1983,
nach der Niederlage im Falklandkrieg,
kam die Demokratie. Ich war weiter
aktiv und Kandidatin für das Amt der
Bürgermeisterinbei unserer Partei, der
MAS (Movimientoal Socialismo).
Während Alfonsins Regierung wurden
dieProzesse gegendieamGenozidbe-
teiligtenMilitärsangefangen. Siehaben
mit einemMilitärputsch versucht, dies
zu verhindern. Deswegen hat Alfonsin
einen Pakt geschlossen, die „Schluss-
punkt“
und
„Gehorsamspflicht“-
Gesetze erlassen (leyes de Punto final
y de Obediencia Debida), um nur die
Militärsder Juntaanzuklagenundnicht
diejenigen, die einen niedrigen Dienst-
grad hatten. Aber der Kampf geht wei-
ter.
1989 kam mit Menem die Amnestie
und der weitere Ausbau der neolibe-
ralen Pläne, die Kündigung von linken
und oppositionellen Aktivisten, die
Privatisierung von Gesundheitsversor-
gung, Bildungssystem, Bahn, Flugge-
sellschaft, Ölproduktionund soweiter.
MeinMann Luiswar imBetriebsrat bei
Acindar La Matanza, Provinz Buenos
Aires, einemmetallverarbeitenden Be-
trieb. Er wurde entlassen und kam auf
eine schwarze Liste, keine feste Arbeit
warmehrmöglich.
Und wir sind hier in Düsseldorf ge-
landet, wo meine Schwiegereltern
wohnten. Sie waren als Juden vor den
Nazis nach Südamerika geflohen und
Anfang der 90 Jahre zurück nach Düs-
seldorf gekommen, ihre Großeltern
und ihre Familie wurden in Auschwitz
ermordet.
Was die Diktatur nicht geschafft, hat
Menemerreicht.Weg von zuHause, in
einem fremden Land.
Ihr werdet euch fragen, warum ich
bis heute hier bin. Zuerst muss mich
bedanken, dass ich die Trauer und die
Konsequenzen von Verfolgung und
Flucht beim PSZ (Psychosoziales Zen-
trum) bearbeiten kann. Zweitens will
ich die neuen Geflüchteten, Refugia-
dos, begleiten und ihnen mit auf den
Weggeben, dass esmöglich ist, unsere
Geschichte zu verarbeiten. Dafür steht
das PSZ zur Verfügung.
Lange Jahrehabe ichnicht gesprochen.
Selbst meiner Tochter Ana habe ich
meine Geschichte nur oberflächlich
erzählt. Erst im letzten Jahr habe ich
zusammenmit ihr undmeinemMann
Luis die Konzentrationslager besucht
und dort hat sie alles erfahren. Das
war sehr bewegend und sie hat mich
gefragt: warum hast dumir nicht alles
erzählt? Ich wollte dich schützen, war
meineAntwort.
Ich will nicht als Opfer oder Heldin
betrachtet werden. Ich habe über-
lebt, ich lebe in der Gegenwart mit
Hoffnungund Engagement für die Zu-
kunft.Und ichbinkonsequent:
Ichvergessenie.
LeaMachado
Internationales
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