Stadt-Zeitung03/2016
GEW StadtverbandDüsseldorf
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Integration
V
Und trotzdem bleiben erhebliche Zwei-
fel an der Richtigkeit dieser Entschei-
dung. Der Ausschluss von verschlei-
erten Schülerinnen aus demUnterricht
bedeutet auch ein Verzicht auf einen
konstruktiven Dialogmit ihnen undmit
ihrenFamilien. Aber könnenundwollen
wir es uns leisten, als Gesellschaft und
als Schule, diesen Dialog zu verwei-
gern?Undwaswäregewesen,wenndie
Schülerin nicht das Abendgymnasium,
sondern im schulp ichtigen Alter eine
Regelschule besucht hätte? Die Schule
ist aucheinOrt, andemder Dialog, das
friedvolle und tolerante Zusammenle-
ben der Kulturen auch dann eine Be-
rechtigung haben, wenn dieser Friede
durch uns unverständliche Lebenswei-
sen auf eine harte Probe gestellt wird.
Diesen Herausforderungen muss sich
dieSchule stellen.
Das Thema Vollverschleierung von
Schülerinnenistnureinsder integrations-
spezi schen Themen, die uns im Alltag
beschäftigen und in Zukunft wahr-
scheinlich noch stärker beschäftigen
werden. Erst vor kurzer Zeit gab es z.B.
Schlagzeilenüber einenVater, der einer
Lehrerin den Handschlag verweigert
hatte. ImmerwiederhabenwirFällevon
Schülerinnen, denen die Teilnahme an
Klassenfahrten von den Familien nicht
erlaubtwird. DiemedialeResonanzdie-
ser Fälle darf aber die große Mehrheit
von Schüler*innen mit Zuwanderungs-
geschichte und deren Familien nicht
vergessen lassen, die konstruktiv mit
Lehrer*innen arbeiten und die besten
Abschlüsse für ihre Kinder erreichen
wollen. Vollverschleierte Schülerinnen
sind die absolute Ausnahme an öffent-
lichen Schulen und wir dürfen wegen
dieser Einzelfälle nicht die alltäglichen
Herausforderung aus den Augen ver-
lieren, die uns viel mehr beschäftigen.
Die Radikalisierung von Jugendlichen,
übrigens nicht nur von moslemischen,
sondern auch von rechtsradikalen Ju-
gendlichen, istnureinBeispiel dafür.
DieSchülerin, diegegendenAusschluss
aus dem Unterricht geklagt hat, ist
nicht mehr schulp ichtig und wollte
ein Abendgymnasium besuchen. Hätte
das Gerichtsurteil anders ausgesehen,
würden wir wahrscheinlich demnächst
auch verschleierte Mädchen an ande-
ren Schulen begegnen. Auch deshalb
ist das Urteil zu begrüßen. Aber richtet
sich dieses Urteil nicht ausdrücklich
gegen Mädchen? Über Jugendliche,
die radikale religiöse Auffassungen ver-
treten, wird nicht so viel diskutiert, da
diese Tendenzen nicht direkt sichtbar
sind. Ist dann das Schleierverbot trotz
der gutenAbsicht, dieMädchen vor der
Unterdrückung zu schützen, nicht eine
Diskriminierung der Mädchen? Müsste
man diese nicht stärker unterstützen
und ihnen durch Bildung und durch
das Zusammenleben mit anderen an
der Schule eine bessere Lebenschance
ermöglichen? Auch die Politik ist hier
gefragt, „Gesicht zu zeigen“. Den ein-
zelnen Schulen diese folgenschweren
Entscheidungen zu überlassen kann für
alle Beteiligten schwerwiegende Kon-
sequenzen haben. Der Schulfrieden ist
gefährdet, wenn keineindeutiger recht-
licherRahmenvorhanden ist.Deshalb
fordernwir von der Politik Klarheit und
verantwortungsvollen Umgang mit den
Themen der Migration und Integration
anSchulen.
Gabriella Lorusso ist im Vorstand des
Stadtverbandes und wiedergewählte
Personalrätin für Gesamtschulen im
Bezirk Düsseldorf. Sie ist im Leitungs-
team des LAMDA (Landesausschuss
Migration, Diversity und Antidiskrimi-
nierungderGEWNRW)