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nds 10-2012
Dr. Reinald Eichholz
Mitglied der National
Coalition für die Umsetzung
der UN-Kinderrechts-
konvention in Deutschland
ehemaliger Kinderbeauf-
tragter der Landesregierung
Nordrhein-Westfalen
Kinderrechte sind
Ausfaltungen der Menschenwürde
Fragen im Zusammenhang mit der Menschenwürde sind selten zweifelsfrei zu klären. Etwa die
Achtung der Gewissensfreiheit, der Meinungsfreiheit oder der Privatsphäre. Bewirkt die Unverfüg-
barkeit der Menschenwürde nicht auch, dass ich auch meine eigene Würde zu bewahren habe und
längst nicht alles mit mir machen lassen darf? Kann die Verweigerung des wirtschaftlichen Existenz-
minimums durch blanke Not zu einer entsprechenden ausweglosen seelischen Bedrohung werden?
Kann die ungewollte schulische Ausgrenzung in Sondereinrichtungen zu einem die Menschenwürde
verletzenden Angriff auf das Selbstbild eines Kindes führen? Könnte nicht ein Bildungsminimum
hinsichtlich grundlegender Kulturtechniken durch die Achtung der Menschenwürde geboten sein?
Für die Frage der Menschenwürde ist erhellend, dass sie Eingang in zahlreiche völkerrechtliche
Erklärungen und Übereinkommen gefunden hat. Man erfährt, was „die Menschheit denkt". In
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 heißt es z.B. in der
Präambel: „Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen
Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit
und Frieden in der Welt bildet ...“ Und in Artikel 1 steht: „Alle Menschen sind frei und gleich an
Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im
Geist der Brüderlichkeit begegnen. ...“
Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. No-
vember 1950 greift darauf zurück. 1966 folgen zwei bedeutsame Pakte: der Internationale Pakt
über bürgerliche und politische Rechte sowie der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale
und kulturelle Rechte. Am 20. November 1989 werden diese Rechte schließlich im Übereinkom-
men der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes gebündelt und daraus eigene Rechte
der Kinder abgeleitet. Es heißt: „... in der Erwägung, dass nach den in der Charta der Vereinten
Nationen verkündeten Grundsätzen die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen
Gesellschaft innewohnenden Würde und der Gleichheit und Unveräußerlichkeit ihrer Rechte die
Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden bildet ... .“
Auf dieser Grundlage ergibt sich eine Reihe bedeutsamer Gesichtspunkte, die die Menschen-
würde als positiven Rechtsbegriff handhabbar machen. Dazu zählt vorab die Vorstaatlichkeit der
Menschenwürde und ihre Unverfügbarkeit: Weder staatliche Instanzen noch der Mensch selbst
können sie antasten. Weiter ergibt sich die Universalität der Menschenwürde und der daraus
abgeleiteten Menschenrechte. Sie sind nicht begrenzt auf eine „Anerkennungsgemeinschaft“,
sondern gelten global. Weltumspannend ist die Menschenwürde die „Wurzel aller Grundrechte“,
wie das Bundesverfassungsgericht es treffend ausdrückt.
Bei der inhaltlichen Ausdeutung stehen in der deutschen Rechtsprechung Identität und Indivi-
dualität im Vordergrund. Das Bundesverfassungsgericht folgt der sogenannten Objektformel, nach
der der Mensch „nie zum Objekt, zum bloßen Mittel herabgewürdigt werden“ dürfe. Das ist ein
verlässliches Kriterium, weil man auf ein sicheres Gespür dafür rechnen kann, ob man als Subjekt
ernst genommen wird. Die Kinder, die angeblich unsere Zukunft sind, werden kritische Rückfragen
stellen! Im deutschen Grundgesetz finden sich weitere Aspekte. Das allgemeine Persönlichkeits-
recht, das Wahlrecht oder auch das Sozialstaatsprinzip bauen auf Aktivität und Selbstbestimmtheit
der BürgerInnen. Da schimmern das Entwurfsvermögen und die Willensfreiheit im Sinne der Selbst-
bestimmung des Menschen durch. Die UN-Kinderrechtskonvention bringt dies noch einmal auf
eigene Weise zum Ausdruck. Im Anschluss an Janusz Korczak gilt das „Recht auf Achtung der Würde
des Kindes“ als „Geist der Konvention“. Daraus leiten sich die drei Säulen der Kinderrechte ab: das
Recht auf Schutz der Identität sowie von Leib und Leben, das Recht auf Förderung der Entwicklung
und das Recht auf Beteiligung als eigenständige Persönlichkeit in allen das Kind betreffenden An-
gelegenheiten. Das sind nicht einfach Grundrechte, die dem Kind zustehen, sondern Ausfaltungen
seiner Menschenwürde und damit Grundwerte von höchstem Rang.
Reinald Eichholz
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