Stadt-Zeitung04/2013
GEW StadtverbandDüsseldorf
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GLOSSE
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folgenden Brief mit Lufttinte: „Liebe
heutige Grundschüler, ichmöchtemich
für unsere damaligen Ergebnisse bei
euch entschuldigen! Als einzige Erklä-
rung fälltmir ein, dasswir damals nichts
anderes hatten als Spielen und Recht-
schreibung. Selbst im Fernsehen gab es
nur drei Programmeundhierwar schon
ein schielender Löwe das Nonplusultra
der Unterhaltung. In der Schule war es
um die Unterhaltung auch nicht besser
gestellt, da wir eigentlich nichts Sinn-
volles schrieben. Wir übten Buchstabe
nach Buchstabe nach Buchstabe. Ich
musste mit meinem „g“ im Vornamen
schon ganz schön lange warten, bis
ich meinen Namen komplett schreiben
durfte. Nach einem halben Jahr waren
ganzMutige dann soweit, dass sie sich
an ihre ersten eigenenWörter trauten.
Nachdemwir auchden letztenBuchsta-
ben erlernt hatten, saßen wir da und
übten stupide für irgendwelcheDiktate.
Nach diesenDiktaten saßenwir da und
übten stupide für irgendwelche Dik-
tate… usw. usw. Als ich dann auf die
weiterführende Schule kam - ging es
genauso weiter. Ich beneide euch ein
wenig dafür, dass ihr schon früh eure
eigenen Texte schreiben könnt, wisst,
wie ihr Informationen für einReferat re-
cherchiert, Präsentationengestaltet,mit
den für euch gar nicht mehr so neuen
Medien zurechtkommt, Englisch sprecht
und auch so den Durchblick behaltet,
vielmehr, als wir dies vor 40 Jahren ta-
ten.“ Genüsslich schleckte ich den letz-
ten Rest auf dem Muschelimitat. Der
Frau von der FDP hätte ich gern auch
eine „Nostalgietüte“ geschenkt, kam
es mir in den Sinn. In diese könnte sie
ihre Forderungennachder Rückkehr zur
guten (?) alten Zeit des Fibellehrganges
packen, ins Regal stellen und alle Jahre
wieder einmal hervorholen. Aber bitte
heimlich! Denn: Mir persönlich sind
leckere „Süßigkeiten aus der Kindheit“
inNostalgietüten lieberalsklebrigeKon-
zepte von vorgestern.
Mit vorauseilenden Grüßen an meinen
Zahnarzt und mit nachhängenden Ge-
danken zuden Siebzigern schrieb
Holger Thrien,
FachgruppeGrundschule